Geständnis im Mordprozess El Sherbini: Der Täter spricht
Der Angeklagte Alex W. spricht zum ersten Mal vor Gericht und gibt an, seine Tat nicht zu verstehen. Er will auch nicht aus "ausländerfeindlicher Gesinnung" gehandelt haben.
DRESDEN taz | Der Angeklagte im Prozess um den Mord an der Ägypterin Marwa El Sherbini hat das Verbrechen gestanden. Nach dem der 28-jährige Spätaussiedler Alex W. bislang sowohl bei der Polizei als auch im Prozess geschwiegen hatte, ließ er am Mittwoch im Dresdner Landgericht eine entsprechende Erklärung von seinem Anwalt Veikko Bartel verlesen. "Heute kann ich es selbst nicht mehr verstehen, warum ich das Verbrechen begangen habe", zitierte Bartel seinen Mandanten.
In der Erklärung gab W. zu, eine "ausländerfeindliche Gesinnung" zu haben, diese aber sei "nicht das Motiv". Als Gründe nannte er vielmehr Stress durch das Beleidigungsverfahren gegen ihn und Angst vor einer Gefängnisstrafe. Er sei "panisch" gewesen, habe sich "machtlos", "vom Staat schikaniert" und ungerecht behandelt gefühlt. Er sei depressiv gewesen und habe in den Wochen vor der Berufungsverhandlung viel getrunken.
Die Tat sei nicht geplant gewesen, hieß es in der Erklärung weiter. Das Messer, mit dem er die 31-jährige El Sherbini erstach und ihren Ehemann schwer verletzte, führe er immer bei sich. Er habe es "seit Wochen" in seinem Rucksack gehabt. "Ich habe nicht geplant, es für einen Angriff auf die Zeugin oder ihren Mann zu benutzen." Nach seiner Festnahme habe er "bedauert, dass es geschehen sei, dass ich mein Leben versaut habe und nicht selbst bei der Aktion erschossen wurde".
W. betonte in der Erklärung, er könne sich nicht mehr lückenlos an die Tat erinnern. Stattdessen war von "Erinnerungsinseln", "Ausschnitten" und "Momentaufnahmen" die Rede. Er habe die Personen im Gerichtssaal zu dem Zeitpunkt nur als Schatten wahrgenommen, als Gestalten ohne Gesicht. "Ich habe mir selbst das Kommando gegeben, jetzt aufzustehen und die Zeugin anzugreifen." Der Angeklagte verfolgte die Verlesung der Erklärung ohne jede äußere Regung, Nachfragen ließ er nicht zu.
W. steht seit dem 26. Oktober wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor der Schwurgerichtskammer des Dresdener Landgerichts. Der Russlanddeutsche hatte Marwa El Sherbini 2008 auf einem Spielplatz als "Islamistin" und "Terroristin" beschimpft und musste sich deswegen vor Gericht verantworten. Unmittelbar nach ihrer Zeugenaussage hatte W. die Muslima attackiert. Ihr dreijähriger Sohn wurde Zeuge der Tat. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass W. aus Hass auf Muslime gehandelt hat. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe, nach einem vorläufigen Gutachten gilt er als voll schuldfähig.
Aus der Sicht von Prozessbeobachtern zielt W.s Erklärung sowohl darauf ab, den Mordvorwurf zu entkräften, als auch die Einschätzung des psychologischen Sachverständigen zu verändern. Ähnlich äußerten sich nach Verlesung der Erklärung auch Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger. Der Gutachter soll an diesem Donnerstag endgültig gehört werden. Damit ist die Beweisaufnahme abgeschlossen. In der kommenden Woche wird der Prozess dann mit den Plädoyers fortgesetzt, das Urteil wird am Mittwoch erwartet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart