Gespräch mit Konstantin Wecker: "In der Politik ist fast jeder ein Populist"
Konstantin Wecker, 61, Liedermacher, war überzeugter Hedonist. Heute redet er über Vergänglichkeit, die Kunst des Scheiterns und die Verantwortung für seine Kinder.
taz: Ist die Gesellschaft bisher gerecht zu Ihnen gewesen, Herr Wecker?
Geboren: 1. Juni 1947 in München. Einmal geschieden, wieder verheiratet, zwei Söhne. Sein Vater, Prof. Alexander Wecker-Bergheim, war Opernsänger (Tenor).
Ist: Sänger, Liedermacher, Komponist, Autor, Schriftsteller, Fernseh- und Filmschauspieler, Friedensaktivist. Eine eigene Kategorie, wie Karl Forster in der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat: "Niedergerissen sind endgültig die unseligen Grenzen zwischen altem Kunstlied und neuem Song, zwischen ,ernsthafter' und ,unterhaltender' Musik. Fest versponnen, verwoben und in nie gehörter Symbiose zu Großem gewachsen, ist Weckers ureigenste Liedform zu einer neuen, alles umfassenden Kategorie in der Musik geworden." Erste LP: "Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker" (1972). Bisher letzte LP: "Gutn Morgen Herr Fischer" (2008). Wichtigste LP und Durchbruch: "Genug ist nicht genug" (1977) mit der Ballade "Willy", für einen Freund Weckers, der bei einer Kneipenschlägerei mit rechtsradikalen Sympathisanten ums Leben kam.
Zum taz-Gespräch traf sich Wecker mit taz-Redakteur Peter Unfried in der Lobby des Hotels Marriott in Leipzig. Morgens nach seinem Konzert. Und vor seinem Konzert in Berlin.
Konstantin Wecker: Das Leben war zu mir gerecht, ja. Ich habe ganz viel Glück gehabt. Und alle Dinge, die ich auf die Gesellschaft schieben könnte, habe ich lieber auf mich genommen. Wenn ich meine persönlichen Niederlagen abwälze, dann schiebe ich das auf meinen äußeren Feind und habe für wirkliche Entwicklung keine Chance. Das bedeutet nicht, dass ich die Gesellschaft prinzipiell für gerecht halte.
Die Gesellschaft ist nicht gerecht, aber für Sie ist es gut gelaufen, ist das ein Widerspruch?
Nein, es gibt sehr viele, für die es nicht gut läuft. Ich gehöre, glaube ich, zu dem einen Prozent der Gesellschaft, die begeistert gerne ihren Beruf machen und damit existieren können.
Eine Vermutung lautet, dass Sie, stellvertretend für ein letztlich kleinbürgerlich linkes Publikum, ein Leben zwischen links und Lust führen. Dafür werden Sie bezahlt.
Gilt das nicht für die meisten Künstler?
Ich rede von 70er-Jahre-Tabubrüchen wie Pelzmantel und Sportwagen.
Mittlerweile bereue ich es, dass ich das mit dem Sportwagen in meinem Buch geschrieben habe, dauernd werde ich auf das Dingens angesprochen …
… den Pontiac Firebird.
Ich habe nie gesagt: Leute, ich führe ein linkes Leben. Ich führe auch kein rechtes Leben. Obwohl ich immer noch Schulden abzahle: Ich verdiene sehr viel mehr als die meisten und deswegen würde man mir gerne das Recht absprechen, mich trotzdem um soziale Dinge in dieser Gesellschaft zu kümmern. Wieso muss jeder, der Geld verdient, automatisch in die geistige Kaste derer gehören, denen es ausschließlich ums Geldverdienen geht? Diesen Gedanken halte ich für eine Idiotie.
Wie definieren Sie die geistige Geldkaste?
Es ist okay, reich zu sein. Mir ist wichtig, wie jemand mit dem Leben umgeht. So gesehen halte ich die meisten Reichen für dumm. Sie sind zwar gebildet oder halbgebildet, aber sie müssen den Großteil ihres Lebens und ihre ganzen Gedanken dem Geld widmen. Das muss auf Dauer verblöden. Vor allem ist es die falsche Beschäftigung im Leben.
Linke-Chef Oskar Lafontaine hat gesagt: Wer Milliarden verdiene, könne kein anständiger Mensch sein.
Nein, er hat gesagt, er kann seine Milliarden nicht auf anständige Weise erarbeitet haben. Das ist ein großer Unterschied. Man kann nicht Milliardär werden, ohne irgendwo gezockt, beschissen oder ausgebeutet zu haben. Ich habe ein Problem mit Milliardären, weil aus dem Geld folgt, dass sie zu viel Macht haben. 500 Leute auf der Welt haben mehr Geld als die Hälfte der Menschheit. Das ist nicht demokratisch.
Was setzen Sie dem entgegen?
Ich hoffe halt, dass die nächste gelebte Utopie eine wird, die von vielen erdacht und geträumt worden ist und nicht von einem einzelnen oder rein kommerziell denkenden Thinktanks.
Verdammen Sie die Topmanager?
Was heißt verdammen? Schon Rudi Dutschke hat gesagt, dass es keinen Sinn hat, wenn wir die Wirtschaftsmanager an den nächsten Baum hängen wollen. In einer anderen Gesellschaft brauchen wir ihre Fähigkeiten doch wieder.
Im Sozialismus hätten Sie nicht machen können, was Sie machen. Warum lachen Sie?
Sie haben Recht. Im Sozialismus hätte ich nicht annähernd das machen können, was ich gemacht habe und mache. Ich habe auch nie den Sozialismus als berechtigte Gesellschaftsform propagiert. Niemals. Was man bei mir oft vergisst: Den Hauptärger hatte ich mit den Linken und nicht mit den Konservativen.
Was war der Unterschied?
Die Konservativen kamen zum Teil in meine Konzerte und haben auch gesagt, wir sind nicht der gleichen Meinung und so. Aber die Bühne gestürmt haben die Linken.
Die verstanden keinen Spaß?
Die verstanden ganz und gar keinen Spaß.
Wegen Ihres Firebird.
Das Autofahren war vielleicht eine Provokation, weil ich mich einfach nicht in irgendeine Ecke einengen lassen wollte. Es war aber auch klassisches Rock-n-Roll-Gebaren: Armer Junge protzt mit einem großen Auto. Eine komische Phase war das. Aber ich wurde von Linken längst nicht so verfolgt wie mein Freund Hanns Dieter Hüsch.
Der Kabarettist.
Der hat richtig gelitten. Ich konnte ein bisschen besser damit umgehen, weil ich eine stärkere körperliche Präsenz hatte als der Hanns Dieter. Da haben sie schon überlegt, wie weit sie gehen.
Haben Sie die Linken verprügelt?
Nein, Schlägereien gabs nicht, aber es war knapp davor.
Auffällig ist, dass Sie heute hauptsächlich in Neues Deutschland, junge Welt oder Freitag vorkommen, wo Sie meist Lafontaine verteidigen müssen.
Den Freitag schätze ich sehr. Aber es stimmt: Seit ich 2003 im Irak war, komme ich in bürgerlichen Zeitungen nur noch in Rezensionen vor. Und über Lafontaine habe ich in den letzten zwei Jahren in bürgerlichen Zeitungen auch keinen einzigen positiven Artikel gelesen. Da muss man kein Lafontainist sein, um diese Denunzierung nicht gut zu finden.
Manchmal ist es sicher schwer, Lafontaine zu verteidigen.
Sagen wir es so: Ich war bei Hexenverfolgungen immer auf der Seite der Hexen. Außerdem kenne ich Lafontaine. Er kommt mit ganz und gar nicht dämonisch vor. In der Politik ist fast jeder ein Populist. Wenn sich dann alle Populisten darauf einigen, dass einer der Populist sei: Das geht mir einfach auf den Sack. Ich möchte, dass die Linke ein schönes Gegengewicht ist als parlamentarische Notwendigkeit, als einzige Partei, die versucht, den neoliberalen Konzepten wirklich entgegenzustehen.
Und wenn man auf das rückwärtsgerichtete Utopische verweist …
… dann ist mir das ehrlich gesagt auch egal: Wenn rückwärtsgerichtet etwas gerechter ist, dann kann man sich auch rückwärts richten.
Da bei Ihnen immer die hedonistische Lebenslust dabei ist, erstaunt Ihre Nähe zu den Traditionslinken. Die werden eher als Spaßbremsen wahrgenommen.
Eine Spaßbremse war ich tatsächlich nie. Ich bin allerdings der Meinung, dass der Spaß nicht verhindern muss, dass man sich engagiert und dass man politisch denkt. In den letzten 20 Jahren hat der Spaß aber so überhandgenommen, dass er alles verwitzelt und dadurch jede Form von Engagement und politischen Diskurs getötet hat. Aber ich bin kein Parteimitglied der Linken, wenn Sie das meinen. Um Parteien habe ich mich nie richtig gekümmert. Die einzige Ausnahme war Petra Kelly. Die habe ich geliebt. Für die wäre ich durchs Feuer gegangen. Und deswegen habe ich mich damals auch für die Grünen engagiert.
Haben Sie Petra Kelly als Frau geliebt?
Nein. Als Gesamterscheinung. Die Petra sah so wahnsinnig aus, die hat immer gelitten an der Welt. Aber wir brauchen auch solche Menschen, das war einfach wunderbar.
Warum brauchen wir solche Menschen?
Wir brauchen Menschen, die sich ausschließlich einsetzen für andere.
Es gab zwei widersprüchliche Ziele in der gesellschaftlichen Bewegung des Jahres 1968: die solidarisch-soziale Bewegung und der Anspruch der größtmöglichen individuellen Freiheit.
Ich habe beides versucht.
Sie lachen?
Na ja, ich bin in beiden Punkten gescheitert. Was mein persönliches Ausleben angeht, habe ich eine deutliche Bremse erfahren und zur Besinnung kommen müssen. Was meine politischen Visionen angeht, so hatten die nie ein ideologisches Endziel: Mir war immer klar, dass das nie funktionieren kann.
Sie trauern nicht der verpassten Räterepublik Dutschkes nach?
Nein, mache ich nicht.
Waren Sie denn gerecht gegenüber der Gesellschaft, Herr Wecker?
Nein, ich war nicht immer gerecht zur Gesellschaft. Dafür war ich manchmal einfach zu egoistisch und zu rücksichtslos und zu stark auf meine privaten Interessen konzentriert. Ich würde vieles heute anders sehen.
Aber nicht anders machen?
Ich mache heute vieles anders. Es ist halt ein Unterschied, ob man 61 ist oder 30.
Sie machen notgedrungen Dinge anders?
Ich halte es für einen extremen Fehler, die Körperlichkeit für die Senioren derart zu betonen. Statt ihnen die Möglichkeit zu geben, sich wirklich mit der Ars Moriendi auseinanderzusetzen.
Der Kunst des Sterbens.
Ja, denn das ist wirklich angesagt ab einem bestimmten Zeitpunkt.
Kann man nicht erst mal einfach gern alt sein?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein 60-Jähriger es nicht annehmen würde, nochmal 30 zu sein, wenn er die Wahl hätte. Aber das ist ein völlig sinnloser Gedanke. Also braucht man den nicht zu denken.
Ihr Mit-Münchner Rainer Langhans hat den Körper weitgehend zurückgedrängt und lebt in spiritueller Jugend.
Ja, man kann das Körperliche hinter sich lassen. Aber der wirkliche Charme des Jungseins ist die Unbedenklichkeit; das Gefühl, für alles ewig Zeit zu haben. Daher ist das Alter philosophisch notwendig. Irgendwann muss man einfach lernen, dass man eben nicht für alles ewig Zeit hat. Die Vergänglichkeit ist selbstverständlich immer da. Selbst mein Sohn spürt sie schon, und der ist neun.
Inwiefern spürt der die Vergänglichkeit?
Wir waren neulich in einem Vergnügungsland für Kinder. Er hatte sich zwei Tage drauf gefreut. Wir hatten aber nur zwei Stunden Zeit. Und da hat er gesagt: Ach, Papa, dass alles, was schön ist, so schnell enden muss …
Ein weiser Satz.
Es war rührend und zeigt: Man kann also schon als Neunjähriger so eine Erkenntnis haben. Aber die ist eben dann ganz schnell wieder weg. Gott sei Dank. Aber ich merke, dass mein Schulfreund Günther - der fährt mich immer auf den Touren - und ich den Tod praktisch ständig thematisieren. Das gehört zum Leben dazu. Vielleicht hat das Leben auch eine anderen Sinn, als glücklich zu machen.
Unglücklich zu machen?
Nein, aber eben nicht nur glücklich. Das merkt man daran, dass man sich nur wirklich im Scheitern weiterentwickelt.
Sie haben Ihr biografisches Buch deshalb "Die Kunst des Scheiterns" genannt.
Die Niederlage wird meist als ein Lapsus betrachtet, den man überwinden muss, um dann wieder Erfolg zu haben. Ich komme dagegen zu dem Schluss, dass es um eine spirituelle Erkenntnis geht. Und die folgt daraus, dass man sich mit seinen Niederlagen beschäftigt.
Wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gekommen?
Ich habe es in dem Moment gesehen, als ich das erste Mal in meinem Leben gar nichts mehr hatte. Kurz nach meiner Verhaftung.
Das war 1995. Sie waren drogenkrank, wurden wegen Kokainbesitzes verhaftet und am Ende in dritter Instanz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Die Presse fiel damals über mich her, viele Freunde haben sich verabschiedet, vor allem die Freunde aus den letzten Jahren. Ich hatte einen Haufen Schulden, die Ehre war weg und auch mein Image, das ich mir im Laufe der Jahre mühsam aufgebaut hatte. Es gab keinen Erfolg mehr, die ersten Konzerte liefen miserabel.
Furchtbar?
Zunächst ja. Aber in diesem Zustand habe ich gemerkt, dass etwas in mir ist, das unabhängig ist von der Persönlichkeit, die man sich aufbaut, die man glaubt zu sein. Ich habe etwas gespürt in mir, das nicht verletzbar war. Weil ich ganz ausgezogen wurde, weil ich ganz nackt war, hatte ich Momente, in denen ich so ich selbst war und so bei mir, dass ich für kurze Zeit zwischendurch glücklich war. So glücklich wie nie in meinem Leben zuvor.
Unglaublich.
Ja, das war unglaublich. ich habe hier meine Existenz erlebt. Ich habe erlebt, wer ich bin. Und zwar viel klarer als in allen anderen Momenten meines Lebens.
Was hatten Sie vorher getan, dass Sie in diesem Moment nicht als Nichts dastanden?
Gar nichts. Ich habe einfach nur mich gespürt. Etwas, das unabhängig ist von Status und Geld. Es ist noch etwas da, das eigentliche wahre Selbst. Spirituell würde man sicher sagen: das Unzerstörbare.
Haben Sie das nach Überwindung der Krise wieder verloren?
Nein, das ist etwas, das bleibt. Ich will auch nicht sagen, dass ich das nie zuvor erlebt hätte. Diese Erfahrung der eigenen Existenz passiert auch in den schönen Momenten der Liebe. Und immer wieder beim Improvisieren. Ich wäre als klassischer Pianist nicht annähernd so glücklich geworden. Das Improvisieren macht mich wirklich glücklich.
Was ist das für ein Glück?
Ich will es mal so sagen: Diese Momente sind völlig frei von der Tatsache, dass es eine Zeit und einen Raum gibt.
Haben Sie Ihr Leben heute im Griff, Herr Wecker? Kann man das überhaupt?
Nein, man kann das Leben nie im Griff haben. Einzelne Punkte sollte man im Griff haben, wenn man weiß, dass man die früher nicht im Griff hatte. Selbstverständlich hat sich mein Leben geändert, seitdem ich zwei Kinder habe. Ich habe mich ja lange bewusst geweigert, Kinder zu haben, weil ich die Verantwortung nicht tragen wollte.
Und heute tragen Sie sie für die Kinder und damit die Welt von morgen?
Nein, nicht für die Welt von morgen, nur für meine Kinder.
Was ist Ihre Idee?
Ich will ihnen vermitteln, dass Leistung gar nicht so wichtig ist. Und dass sie für sich einstehen können, auch wenn andere eine andere Meinung haben. Das war das Grundthema der aktuellen Tour: "Was keiner wagt, das sollt ihr wagen." Aber ich sage auch deutlich, dass meine Lieder immer klüger waren als ich.
Wo blieben Sie am meisten hinter Ihrer Kunst zurück?
Wo es mir am deutlichsten auffällt: wie ich mich Frauen gegenüber verhalten habe früher.
In einer Biografie heißt es, Sie hätten ein Groupie ins Hotel mitgenommen und am nächsten Morgen nicht nur Ihr Rührei, sondern das ganze Rührei der Frau aufgegessen. Ihr blieb nichts.
Das kann schon sein. Denken Sie an Fellini: Er wollte immer alles bestellen für den ganzen Tisch. Alles was ihn interessiert hat, mussten die anderen bestellen. Und dann hat er überall probiert.
Details können Sie nicht mehr bestätigen?
Nein. Aber ich denke, man hätte sicher noch ein weiteres Frühstück bestellen können.
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