Gesetzentwurf in der Türkei: Erdogan will Abtreibung verbieten
Gegen das von der türkischen Regierung geplante Verbot von Abtreibungen hat sich ein breites Bündnis gebildet. Frauengruppen und islamische Organisationen sind dagegen.
ISTANBUL taz | Nur wenige Tage nachdem der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Abtreibungen öffentlich scharf verurteilt hatte, kündigte sein Gesundheitsminister Recep Akdag jetzt an, er werde dem Kabinett noch im Juni einen Gesetzentwurf vorlegen, nach dem Schwangerschaftsabbrüche mit wenigen Ausnahmen verboten werden sollen.
Nach Erdogans Rede am letzten Wochenende, in der er Abtreibungen als „Mord“ angeprangert hatte, gab es einen öffentlichen Aufschrei. Doch zwei Tage später bekräftigte der Ministerpräsident noch einmal, dass Abtreibungen unmoralisch seien. Zudem würden sie das Bevölkerungswachstum des Landes bedrohen.
Familienministerin Fatma Sahin und Gesundheitsminister Akdag stellten sich sofort hinter ihren Chef und wiesen die Kritik von Frauenorganisationen und der Opposition zurück. Sahin sagte, Abtreibungen seien in der Türkei zu einer Art Familienplanung geworden. Das könne nicht angehen.
Nachdem es zunächst hieß, die Regierung wolle Abtreibungen nur noch bis zur vierten Schwangerschaftswoche zulassen, erklärte Akdag, in seinem Gesetzentwurf sollten Abtreibungen nur noch bei medizinischen Indikation, also wenn das Leben der Frau bedroht ist, zugelassen werden. Selbst Vergewaltigung sei kein Abtreibungsgrund. Um unerwünschte Kinder werde sich notfalls der Staat kümmern.
Die meisten Frauenorganisationen sind von Erdogans Angriff auf das Abtreibungsrecht überrascht. Er erfolgte ohne jede Vorwarnung und ohne aktuellen Anlass. In der Türkei sind Schwangerschaftsabbrüche seit 1983 bis zur zehnten Schwangerschaftswoche legal. Anders als in vielen europäischen Ländern und den USA gab es in der Türkei auch nie große gesellschaftliche Auseinandersetzungen über das Recht auf Abtreibung.
Die Seele kommt später
Das liegt am erklärten Laizismus von Erdogans Vorgängerregierungen, aber auch daran, dass die Mehrheitsströmung im Islam dem Fötus, anders als die katholische Kirche, nicht von Beginn der Schwangerschaft an eigenes Leben beimisst. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass dem werdenden Menschen erst später eine Seele eingehaucht wird.
Den Statistiken zufolge werden in der Türkei etwa 10 Prozent aller Schwangerschaften durch einen ärztlichen Eingriff beendet. Laut dem Vorsitzenden der türkischen Ärztekammer, Eris Bilaloglu, ist das keine besorgniserregend hohe Zahl. Vielmehr warnte er vor einer Einschränkung des Abtreibungsrechts. Denn dann würden vermehrt illegale und medizinisch oft fragliche Abbrüche vorgenommen. Auch eine Reduzierung der Frist auf vier Wochen lehnt er ab. Das käme einem Verbot gleich, weil erst nach dieser Zeit eine Schwangerschaft überhaupt festgestellt werden könne.
Inzwischen hat ein breites Bündnis von Frauenorganisationen, zu dem sogar AKP-nahe islamische Frauenorganisationen gehören, einen offenen Brief an Erdogan geschrieben. Darin fordern sie, dass mit dem Körper der Frau keine Politik gemacht wird. Es wäre ein großer Rückschritt in der Entwicklung des Landes, wenn der Staat wieder über die Körper von Frauen verfügen könnte. Die Frauengruppen fordern, stattdessen in Schulen und anderen Institutionen besser über Verhütung zu informieren und mehr für die Bildung von Mädchen zu tun.
Erinnert wird auch daran, dass die AKP-Regierung erst 2005 bei der Reform des Strafgesetzbuchs das bestehende Abtreibungsrecht bestätigt hatte. Warum solle es also jetzt geändert werden, fragen sie. Statt Abtreibung als Mord zu denunzieren, solle Erdogan sich lieber um die Verhinderung der alltäglichen Morde an Frauen durch deren Ehemänner oder Verwandte kümmern.
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