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GesellschaftDie Solidarität trägt

Eine Erfahrung, die es in sich hat: 15 Tage saß Samuel Bosch, 21, im Jugendarrest in Göppingen. Für Kontext hat er seine Gedanken in der Haft aufgeschrieben.

Von Samuel Bosch

Nachdem sich die Türen am 21. März hinter mir schlossen, begann meine Bestrafung. Es war vor allem trist und beengend. In den ersten Tagen war ich nicht so gut drauf, saß ziemlich traurig in meiner Einzelzelle. Ich hatte mir zwar einige Aufgaben mitgenommen, aber ohne schnelle Kommunikation und fast ohne äußere Reize kam ich anfangs zu nichts, obwohl ich nichts zu tun hatte. Der Wechsel von einem unregelmäßigen Alltag hin zu einem sinnlosen tristen Tagesablauf war gravierend.

Haftantritt: Donnerstag, 21. März

Vor dem Jugendarrest haben sich Sympathisant:innen und Mitstreiter:innen versammelt, um mich zu verabschieden. Die Rufe der Versammlung draußen konnte ich leider nicht mehr hören, weil ich erst mehrere Stunden nachdem ich reingegangen bin, auf die Zelle komme. Die Versammlung muss aber irgendwas hinterlassen haben, Plakate oder Flugblätter. Denn am späteren Nachmittag höre ich ein Kind draußen mit fragender Stimme laut die Worte „ihr seid nicht allein“ vorlesen.

Der Ablauf in Göppingen ist sehr durchgetaktet. Aufstehen muss man, je nach Wochentag, um 7:15 Uhr oder um 7:45 Uhr. Einschluss ist am Wochenende um 17 Uhr und unter der Woche um 20 Uhr, das bedeutet, dass man dann bis zum Morgen allein auf der Zelle eingesperrt ist. Dazwischen verschiedene Programmpunkte, wie das Essen von Weißbrot mit 20 Gramm Margarine und Marmelade, das Mittagessen, der tägliche Hofgang.

Alles, was die Menschenrechte vorschreiben, Essen, eine Stunde Hofgang und die sogenannte Freizeit, bei der man sich mit einer anderen Person für 1,5 bis 2 Stunden in einer Zelle einschließen lassen darf, gibt es auch am Wochenende und an Feiertagen. Sport und Aktivitäten zur „Resozialisation“ wie Schule oder Gesprächsrunden gibt es nur unter der Woche von Ehrenamtlichen. Zwischen jeder Aktivität wird man, auch wenn es nur zehn Minuten sind, wieder in die Zellen geführt und eingeschlossen.

Tag 3, Samstag, 23. März

10 Uhr Hofgang: 8 Grad, Wind und Nieselregen. Ich bin froh über die Abkühlung. Ich hab bei Regen das Gefühl, näher an der Natur zu sein.

In der Haftzeit habe ich viel Zeit. Ich plane aus meiner Zelle per Briefpost eine Workshop-Woche vom 17. bis 26. Mai im Altdorfer Wald. Ich male mit meinen Holzstiften Plakate zum Aufhängen und für Social Media.

Was im Vergleich zu den anderen Gefangenen den größten Unterschied für meine psychische Verfassung macht, ist der starke Support durch Mahnwachen, Massen an Post und Besuche, die Aktivist*innen von draußen organisieren.

Tag 10, Ostersamstag, 30. März

Am Tag vorher haben die Aktivist*innen ein Karfreitagspicknick vor der Anstalt gemacht. Es ist krass, was für eine gute Stimmung und Dankbarkeit für die Mahnwache gestern da war. Bei der Mahnwache haben Menschen draußen wohl ein Schild mit „Musikwünsche“ hochgehalten und meine Mitgefangenen haben durch Zettel oder Zeichensprache kommuniziert, welche Wünsche sie haben, die Lieder wurden dann abgespielt. Sie wollen unbedingt, dass es nochmal eine Mahnwache gibt. Vielen hier macht das Alleinsein sehr zu schaffen, sie fürchten das Wochenende und Feiertage. Ich glaube, die Aktion hat ihnen sehr viel Kraft und Energie gegeben. Sie haben, im Gegensatz zu mir, keine Solistrukturen, erhalten fast keine Briefe und wenig Verständnis von anderen für ihre Taten.

Gespräche über den Altdorfer Wald

Bei den Gesprächen mit den Mitgefangenen, beim Hofgang, beim Essen und bei den „Aktivitäten“ erzähle ich viel über unsere Proteste und den Altdorfer Wald. Die Reaktionen: interessiert, mit einigen diskutierte ich über Autos (die sie gut finden), ein paar versprechen, zu uns in den Altdorfer Wald zu kommen.

Ich habe auch viel Zeit, darüber nachzudenken, wie ich an diesen Ort gekommen bin, wie ich gezwungen war, meinen Aktivismus auf eine immer radikalere Ebene zu heben, weil das bisherige Appellieren offensichtlich zu wenig gebracht hatte. So kam ich von Fridays for Future zum Klimacamp, zum Altdorfer Wald und dann in den Knast.

Tag 11, Ostersonntag, 31. März

Die Knospen der Linde, die am Amtsgericht stehen, gehen schon auf. Hoffentlich dauert es noch ein bisschen, bis die Knospen im Altdorfer Wald aufgehen. Diesen Moment will ich unbedingt miterleben. Er ist einer der schönsten im Jahr.

Der Kampf für Klimagerechtigkeit ist mir so wichtig, dass ich es okay finde, dafür in den Knast zu gehen. Ich werde mich davon nicht einschüchtern lassen, weil es weiterhin wichtig ist, dafür zu kämpfen, dass die Existenzgrundlagen von Menschen und Umwelt nicht zerstört werden.

Vermutlich ist es sogar unklug, hier zu verkünden, dass mich das Gefängnis nicht einschüchtert – zukünftige Richter*innen werden sich womöglich denken, dass ich eben länger weggesperrt werden müsse, um mich endlich regelkonform und wie ein „guter“ Bürger zu verhalten. Aber wie kann ich mich denn regelkonform verhalten, während Großkonzerne, Regierungen und die ganze westliche Gesellschaft alle moralischen und menschlichen Regeln brechen und damit Tieren, Ökosystemen und Menschen riesiges Leid zufügen? Wäre es nicht fatal, wenn wir alle uns ducken und einfach „normal“ weitermachen?

Tag 13, Dienstag, 2. April

Ich habe in einem der großen Briefe viele gleiche Bilder mit einem Blumenstrauß und einem Holzstück davor, in dem „Du bist nicht allein“ eingebrannt ist, bekommen. Sie kommen von meiner Mutter und ich soll sie an alle verteilen. Die Mitgefangenen freuen sich sehr, das habe ich so nicht erwartet. Ich dachte, sie finden das kitschig. Ich gehe auch verbotenerweise in den anderen Essensraum und verteile sie dort.

Wem nutzt die Haft?

Der Knast in Göppingen ist ein Brennglas der Gesellschaft und ihrer sozialen Probleme. Die meisten kommen aus Flüchtlings- oder Einwandererfamilien. Die Eltern arbeiten meist sehr viel, haben aber trotzdem wenig Geld. Sie kommen nicht so leicht an gut bezahlte Jobs wie die „Deutschen“.

Das Absurde an dem Gefängnis ist, dass ungefähr zwei Drittel der Menschen dort nicht wegen einer direkt verhängten Jugendarreststrafe einsitzen. Nein, sie waren nur zu unorganisiert, um Urintests auf Cannabis, Sozialstunden oder andere Auflagen rechtzeitig zu erfüllen. Viele sind auch schlicht zu arm, um eine Geldstrafe zu bezahlen, meistens geht es um 100 bis 500 Euro. All diese Menschen kommen dann ersatzweise – meistens für zwei Wochen – in diesen Knast. Anstatt eine passende Lösung für ihre Probleme zu finden, rächt sich der Staat an ihnen durch Bestrafung.

Die anderen etwa 30 Prozent sitzen wegen Schlägereien, Fahren ohne Führerschein, Drogenhandel oder weil sie nicht zur Schule gingen. Durchschnittlich zwei Wochen, wenige sind kürzer dort und einige länger.

Ob und wie viel es den Gefangenen und der Gesellschaft bringt oder nimmt, dass Menschen eingesperrt werden ist natürlich sehr individuell. Manchmal „hilft“ eine Haft Menschen tatsächlich, mit Dingen aufzuhören, die anderen oder ihnen selbst schaden.

Weil einige Mitgefangene erzählten, wie mies sie von manchen Richter*innen behandelt worden waren, habe ich ihnen gezeigt, wie man Befangenheitsanträge schreibt.

Am Ende hab ich in den zwei Wochen viel gelernt und es geschafft, das Beste aus der Situation zu machen. Ich fühle mich gestärkt und werde den Kampf für eine klimagerechte Welt weiterführen.

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