Gesellschaft: Großprojekt Bürgersolarfabrik
Die Bundesregierung setzt mit ihrer Kraftwerksstrategie auf Gas und Wasserstoff für die Zukunft. Eine zivilgesellschaftliche Initiative mit Wurzeln in Baden-Württemberg möchte dagegen die Photovoltaik-Produktion in Deutschland wieder ausweiten: genossenschaftlich und gemeinwohlorientiert.
Von Ralf Hutter↓
Einst war die deutsche Photovoltaik-Industrie weltmarktführend. Dann war sie tot und wurde auch nicht mehr wiederbelebt. Deshalb hatte der pensionierte Lehrer Gerhard Kreutz aus Kirchberg an der Jagst (Landkreis Schwäbisch Hall) 2022 die Idee, es mit einem neuen, geradezu spektakulären Ansatz zu versuchen. Der Energiewendepionier und Vorsitzende des Energie-Initiative Kirchberg e.V. dachte sich: „Wir haben hier einen Windpark, der 40 Millionen Euro gekostet hat und bis auf 500.000 Euro von den Stadtwerken Crailsheim bürgerschaftlich finanziert wurde.“ Ginge das nicht auch mit Solaranlagen? Wenn seine lokale Initiative schon so viel Geld zusammenbekommen konnte, dann könnten doch sehr viele Energiegenossenschaften im In- und Ausland zusammen sehr viel mehr Geld einsammeln, um Investitionen zu stemmen, die für eine große Solarmodulfabrik nötig sind. Die Idee stieß nicht nur in zivilgesellschaftlichen Kreisen auf ein positives Echo, sondern auch bei Leuten aus Forschung und Industrie. Die Initiative für eine sogenannte „Bürgersolarfabrik“ war geboren.
Gerhard Kreutz’ Fabrik sollte binnen weniger Jahre auf eine Produktionskapazität von fünf Gigawatt Solarmodulen anwachsen und wäre damit die mit Abstand größte ihrer Art in Deutschland. Die Investitionskosten schätzte die Initiative auf rund eine Milliarde Euro, wobei sie ungefähr ein Drittel davon aus Fördertöpfen abdecken wollte.
Weltweite Abhängigkeit von chinesischer Solartechnik
Die Zeit ist gut für einen solchen Vorstoß. PV liegt wieder im Trend. 2023 wurde das von der Bundesregierung gesetzte Ziel für den Photovoltaik-Zubau von neun Gigawatt um mehr als die Hälfte übererfüllt. Weltweit dauert der Höhenflug dieser Technologie schon länger an: Die Photovoltaikleistung hat sich zwischen 2019 und 2022 mehr als verdoppelt. Die EU-Kommission hat das Ziel, dass 2030 die in Europa verbauten Module zu 40 Prozent aus europäischer Fertigung stammen sollen, und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat im Sommer 2023 Extra-Fördermittel für deutsche Solarmodulfabriken angekündigt. Aber der Aufbau der Produktionskapazitäten kommt zumindest in Deutschland nicht wirklich voran.
Der Hauptgrund für dieses Ansinnen ist die große Abhängigkeit von der chinesischen Photovoltaik-Industrie. „Photovoltaik ist Halbleitertechnik auf Basis von Silizium, zumindest im Moment noch“, erklärt der Berliner Branchenpionier Paul Grunow, der sich der Bürgersolarfabrik-Initiative angeschlossen hat. Schon bei der Silizium-Herstellung aus Sand betrage Chinas Anteil am Weltmarkt über 80 Prozent. „Das Silizium muss kristallisiert und geschnitten werden, und diese Scheiben heißen Wafer“, führt er aus. „Die werden zu Solarzellen prozessiert, und die werden dann zusammengelötet und verklebt und als Platten auf die Dächer geschraubt. Diese Wertschöpfungskette ist, nachdem das bis vor zehn Jahren in Deutschland gut angefangen hatte, vollständig nach China abgewandert, weil China an seiner Industriepolitik festhielt. Während in Deutschland das Erneuerbare-Energien-Gesetz den Absatzmarkt angeschoben hat, haben die Chinesen ihre Industrie angeschoben.“ Die Maschinen dafür seien aus Deutschland gekommen.
Grunow will die Wertschöpfungskette wieder in Deutschland ansiedeln, genauer: in einer Fabrik bündeln, was die Investitionskosten in die genannte Höhe treibt. In den 1990ern war der promovierte Physiker Mitgründer der zeitweise sehr erfolgreichen Solarmodulfirmen Solon und Q-Cells. Nun will der 60-Jährige, der sich „wie ein reaktivierter Reservist“ fühlt, wieder so ein Großprojekt anschieben. 99 Prozent der Weltproduktion an Wafern komme aus China, sagt er. Angesichts der weltpolitischen Großwetterlage und der immer wieder diskutierten Gefahren für die globalen Lieferketten bedeute das ein Risiko für die europäische Energiewende.
Doch zurzeit stellt China bei diesem Thema ein anderes Problem dar: Dort gibt es große Überkapazitäten an produzierten Solarmodulen. Die Preise sind seit Langem in einem Rekordtief. „Die Investoren werden nicht investieren, wenn sie sehen, dass die Module aus China so viel billiger sind“, hält Grunow das Problem für die Finanzierung einer heimischen Produktion fest.
Nun war ja die Ausgangsidee, dass Genossenschaften das Projekt finanziell ermöglichen sollen. Sie würden die Module – mit Mitgliederrabatt – bei der Bürgersolarfabrik kaufen und verbauen. Denn Genossenschaften richten sich nicht primär am Preis aus, sie haben einen sozialen Zweck. Für regionale Bio-Lebensmittel sind auch viele Menschen bereit, mehr Geld zu bezahlen. Doch die bestehenden Energiegenossenschaften ziehen im aktuellen Marktumfeld nicht mit. „Die haben klipp und klar gesagt, dass ihnen das zu risikoreich ist“, berichtet Grunow.
Der Masterplan wächst und gedeiht
Magnus Rembold aus Asperg im Landkreis Ludwigsburg hat die Problematik der Bürgersolarfabrik in drei Kurzvideos mit Zeichnungen dargestellt. Der Informatiker gehört zum Kernteam der Initiative und arbeitet gerade an einer Konkretisierung des Konzepts: Zunächst soll ein Verein gegründet werden, der eine Online-Plattform für die Vernetzung von Kommunen, lokalen Initiativen und Unternehmen schaffen und eine Solarmodul-Einkaufsgemeinschaft vorbereiten soll.
Da es neben den chinesischen Niedrigpreisen auch andere Probleme wie die zu lahme Energiewendepolitik und den Fachkräftemangel in Behörden und bei Solar-Installateuren gibt, ist Rembold gerade dabei, einen umfangreichen Masterplan zu entwickeln. Letztendlich sollen lokale Bürgersolargenossenschaften die entscheidenden Akteurinnen sein, damit die Energiewende schneller und sicherer – also weniger abhängig von China – vonstattengeht. In Deutschland gebe es noch 10.000 Kommunen ohne eigene Energiegenossenschaft, erklärt Rembold. Das zeigt, wie groß sein Anspruch ist.
Dieses bundesweite Projekt könnte also kaum größer sein, doch vorangetrieben wird es vor allem in Baden-Württemberg. Zwar ist der Kirchberger Pensionär Gerhard Kreutz aus gesundheitlichen Gründen „nicht mehr operativ dabei“, wie er im Gespräch mit Kontext sagt. Ihm zufolge sind aber neben Rembold vor allem der in Stuttgart lebende ehemalige Unternehmer Robert Hoening und Hendrik Gross vom Konstanzer Photovoltaik-Unternehmen RCT Solutions die Aktivposten.
Großes technisches Potenzial, zögernde Regierung
Wenig Unterstützung ist aktuell von der Bundesregierung zu erwarten. Zwar hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) offenbar den Bundesverband Solarwirtschaft erhört, der eine staatliche Privilegierung heimischer Solarmodule fordert, um hier die Produktion anzuschieben. „Solarprodukte aus Deutschland erfüllen Ansprüche, die andere nicht erfüllen“, sagte Habeck Mitte Dezember gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Zum Beispiel verzichten Hersteller in Deutschland oft auf Giftstoffe, oder [die Module] haben einen hohen Wirkungsgrad.“ Ökologischer sind die Solarmodule aus heimischer Herstellung alleine schon mangels langer Transportwege. Der Minister drückte auch seinen Wunsch nach einer Sonderförderung für die deutschen Produkte aus. Doch konkretisiert ist noch immer nichts, obwohl sein Ministerium im vergangenen Sommer ein Verfahren ausgerufen hat, das unter der Überschrift angekündigt wurde: „Hochlauf der deutschen Solarindustrie – Interessenbekundung für großvolumige Investitionsvorhaben gestartet“.
Firmen, die sich vorstellen konnten, in Deutschland eine Solarmodulfertigung zu eröffnen oder auszubauen, konnten „ihr Interesse an einer Investitionskostenförderung signalisieren“. Gefördert werden sollten „Leuchtturmprojekte, vor allem in strukturschwachen Regionen“. Was ist daraus geworden? Auf Kontext-Anfrage schreibt das Bundeswirtschaftsministerium:
„Das Förderprogramm für den Aufbau von Produktionskapazitäten für Transformationstechnologien bleibt bestehen. Allerdings ist eine Kürzung vorgesehen.“ Wie beim sogenannten Klimageld handelt es sich um noch eine wichtige Energiewendemaßnahme, die angekündigt wurde, aber wegen angeblichen Geldmangels nun wohl doch nicht (oder nur verstümmelt) kommt.
Dass gerade Deutschland ein guter Ort für die Wiederansiedlung der Solarmodul-Wertschöpfungskette wäre, erklärt Eicke Weber: „Wir sind in Europa weltweit immer noch an der Spitze beim Übergang von der sogenannten zweiten Generation der Solarzellen, der sogenannten PERC-Technologie, zur dritten Generation – das eine ist die Topcon-Technologie, das andere ist die Heterojunction-Technologie. Da haben wir tatsächlich noch die Chance, technologisch führend in den Weltmarkt einzugreifen.“ Die Forschungsarbeit an den effizienteren und langlebigeren Modulen werde gerade auch an deutschen Instituten geleistet.
Weber war 25 Jahre lang Physik-Professor im kalifornischen Berkeley, bevor er 2006 in Freiburg die Leitung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme übernahm. Mittlerweile ist der Rentner an mehreren Unternehmen in dem Bereich beteiligt und Vorstandsmitglied des europäischen Branchenverbands European Solar Manufacturing Council. Er prophezeit der Photovoltaik eine goldene Zukunft. Die aktuell weltweit installierten 1.200 Gigawatt, also 1,2 Terawatt, seien bloß ein Anfang: „Das ist eine Technologie wie die Automobilindustrie im Jahr 1905, als die ersten Autos durch die Straßen tuckerten. Das große Wachstum dieser Industrie von 1,2 Terawatt auf 50 Terawatt wird in den nächsten 15 Jahren passieren. Diese Industrie wird 2030 ein größeres Marktvolumen haben als die Automobilindustrie, etwa 800 Milliarden Euro jährlicher Umsatz.“
Dass ab 2030 in Europa jährlich 100 Gigawatt installiert werden, wie die EU-Kommission es sich wünscht, bezeichnet Weber als konservative Schätzung. Da die EU-Kommission will, dass dann 40 Prozent der in Europa installierten Module aus europäischer Produktion stammen, ergibt sich ein Bedarf nach einer ganzen Reihe so großer Fabriken, wie sie die Initiative für eine Bürgersolarfabrik plant. Die Aussichten sind dennoch: unklar. Zumindest in Deutschland und solange es keine massive Bewegung bei alten und neuen Energiegenossenschaften gibt.
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