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Geschlossene Gesellschaft

■ Der Cannes-Preisträger Matthieu Kassovitz zeigt in Hass die ausweglose Gewalt der Vorstädte

Wie ein Bannkreis umschließt der Boulevard périphérique Paris und trennt es von den ghettoartigen banlieus. In einem dieser ausgegrenzten Beton-Vorstädte, in der Cité Les Muguets, leben Said, Vinz und Hubert, die wir in Haß einen Tag lang begleiten werden. Bewegung und Ausweglosigkeit prägen diesen Tag – und gerade diese Grenze im Leben der Cité-Jugend hat Matthieu Kassovitz, in Cannes mit der goldenen Palme für die beste Regie ausgezeichnet, zu seiner Film-Struktur gemacht.

Die bislang friedliche Cité Les Muguets befindet sich im Belagerungszustand durch die Polizei, seitdem es am Vortag zum offenen Aufruhr gekommen war. Der Grund: Einer der Bewohner, Abdel, war zuvor bei einem der gewöhnlichen Polizeiverhöre lebensgefährlich verletzt worden.

All das erfahren wir aus dem Prolog des Films, an dessen Anfang ein Witz gestanden hatte, der uns bis zum Ende genau dreimal begegnet: „Da fällt ein Typ vom 50sten Stock eines Hochhauses herunter. Er fällt tiefer und tiefer, und bei jedem Stockwerk sagt er sich:

,Bis jetzt ging alles gut.'

,Bis jetzt ging alles gut.'

,Bis jetzt ging alles gut.'“

Die Moral von der Geschichte ist, daß es nicht entscheidend ist, wie man fällt, sondern wie man landet. Vor diesem Hintergrund verfolgen wir 20 Stunden im Leben von Said (Said Taghaoui), Vinz (Vincent Cassell) und Hub (Hubert Koundé). Aufgebracht und entschlossen, aber ohne echte Perspektive führen sie uns durch die Vorstadt, in ihre Wohnungen, nach Paris hinein, in den Knast und zurück nach Les Muguets. Hubert will Boxer werden, Said sucht ein Mädchen, und Vinz hat einen Polizeirevolver gefunden, der bei den Krawallen zurückblieb. „Wenn Abdel stirbt“, nimmt Vinz sich vor, „schlage ich zurück.“

Das nachhaltige Prinzip von Ursache und Wirkung, eine vorprogrammierte Eskalation, bei der die Polizei am längeren Hebel sitzt, bestimmt so den Tag der drei Jungen, und ebenso streng folgt Haß als Schwarz-Weiß-Film einem geschlossenen ästhetischen Konzept. Gestützt durch eine Reihe von Film-Zitaten, Wiederholungen und der magischen Zahl 3 beschreibt Haß eine sich in Kamerafahrten und Dramaturgie widerspiegelnden Kreisstruktur – das Ende wird geografisch auf den Beginn zurücckommen. Die Anfangs-Parabel vom Mann und der Gesellschaft im Sturzflug wird wiederkehren und ein Schuß aus dem Off, der das erste Bild eingeleitet hatte, beendet auch die letzte Einstellung.

So werden wir nicht nur Zeuge des sozialen Teufelskreises, der das Leben der Cité in den vorgeschrieben hoffnungslosen Bahnen verlaufen läßt und die ewige Konfrontation mit einer kriminellen Staatsgewalt fortschreibt, sondern wir sind als Zuschauer immer auch schon Teil seiner Beschreibung. In Haß spricht dieser Kreis von sich selbst.

Jan Distelmeyer

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