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Geschichte einer wiedergefundenen Nähe

■ Kim Chernins Roman „Rote Schatten“ entwirft ein Bild des „anderen Amerikas“

1903, in Rußland, ist sie geboren, die Rose Chernin: Jüdin, Immigrantin, Kämpferin, Kommunistin, Ehefrau und Mutter. Rund siebzig Jahre später konfrontiert sie ihre Tochter, die Schriftstellerin, mit der Frage: Also, willst du mein Leben aufschreiben? Die Tochter, Kim Chernin, in den USA geboren und aufgewachsen, nimmt nach anfänglichem Zögern die Herausforderung an, sich noch einmal den Konflikten zwischen sich und ihrer Mutter auszusetzen. Sie begreift es schließlich als Chance, die Chronik ihrer Familie aufzuzeichnen, die mehr birgt als private Erinnerungen. Die Geschichte der Rose Chernin steht nicht nur für die Geschichte vieler russischer Juden, sondern auch für die Kämpfe radikaler Arbeiter und Arbeiterinnen in den USA und ihrer Verfolgung in der McCarthy–Ära. Der Roman „In my mothers house“ - „Rote Schatten“ in der deutschen Übersetzung von Abraham Teuter, verknüpft verschiedene Erzählebenen. Kim Chernin beschreibt die Entstehungsgeschichte des Buches, ihre Begegnungen mit der Mutter und wie ihre eigene Tochter Larissa allmählich in die Familiengeschichte hineinwächst. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist bitter, schmerzhaft für beide Frauen. Rose Chernin ist immer noch tief enttäuscht, daß sich ihre Tochter vom Kommunismus abgewandt hat, die Tochter ringt um die Anerkennung ihres eigenen Weges. Der Lebensweg von Rose wird chronologisch erzählt. Ihre Kindheit verbrachte sie im „Schtejtl“, dem jüdischen Ghetto in Westrußland. Zuerst wanderte der Vater nach Amerika aus, Frau und Kinder folgten später. Die Mutter von Rose schafft es nicht mehr, sich in dem fremden Land zurechtzufinden, leidet überdies an dem Despotismus ihres Mannes, der nie Verständnis für sie hat, sie ins Irrenhaus steckt, weil sie „wunderlich“ wird. Doch für Rose eröffnen sich Chancen, die sie im Ghetto nie gehabt hätte. Nach Abschluß der Volksschule geht sie in die Fabrik, erhält dann überraschend einen Highschool–Platz. Sie beginnt sich mit Kultur und Politik zu beschäftigen. „Für mich war Sozialismus nichts anderes als gesunder Menschenverstand“, erklärt sie ihrer Tochter später. Sie geht nach New York, engagiert sich im russischen Klub und für die Arbeiter und Arbeiterinnnen, deren Lage denkbar schlecht ist. Rose Chernin, inzwischen Ehefrau und Mutter, solidarisiert sich mit den radikalen und militanten Kämpfen, zum Beispiel der Kleiderarbeiterinnen, organisiert, hilft, redet, schreibt. Immer mit der Hoffnung auf eine Revolution in den USA nach sowjeti schem Vorbild. Eine Zeitlang lebt und arbeitet sie in Moskau, eine Zeit, an die sie voll Glück zurückdenkt. „Du fragst dich vielleicht, warum ich Kommunistin geworden bin. Aber ich wunderte mich, warum es nicht alle wurden.“ In den dreißiger Jahren brodelt es in den USA - politisch und sozial. Das Bündnis zwischen den USA und der UdSSR gegen die Faschisten läßt hoffen. Doch nach Ende des Weltkriegs beginnt der Kalte Krieg, in den USA die Kommunistenhatz. Von hier ab übernimmt Kim Chernin die Geschichte. Sie ist elf Jahre alt, als ihre Mutter zum ersten Mal verhaftet wird. Allmählich setzt der Ablösungsprozeß ein, geht die Tochter ihre eigenen Wege, die sie schließlich radikal von der Mutter trennen werden. Sie wird keine Kommunistin mehr sein, wird die Begeisterung für die Sowjetunion nach den Enthüllungen über die Stalinzeit nicht mehr teilen können. Jahrelang schlägt dieser Streit tiefe Wunden. In der gemeinsamen Erinnerungsarbeit kommen sie einander näher, obwohl sie wissen, daß sie die Welt mit unterschiedlichen Augen sehen. Kims Tochter Larissa, die vierte Generation seit die Chernins das Schtejtl verlassen haben, fragt gegen Schluß des Buches: „Soll man ein Leben nach der Ideologie beurteilen, die es inspiriert hat? Oder nach dem, was aus diesem Leben geworden ist, das die Ideologie, ob in sich richtig oder falsch, inspiriert hat. Das sind ganz verschiedene Wege, die Wahrheit zu messen.“ „Oder die Zuneigung zu einer Mutter“, antwortet ihr Kim Chernin. Heike Brand Kim Chernin, Rote Schatten, mit Collagen von Sarah Schumann, Alibaba Verlag 1986, 28,– DM Nur unterm Ladentisch...

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