Geschichte des Parlaments: Wiedervereinigung mit Trickserei
Juristisch einfach war es nicht, die Stadtverordnetenversammlung nach der Wende mit dem Abgeordnetenhaus zusammenzubringen. Denn Ostberlin war eine Kommune, Westberlin ein Stadtstaat.
11. Januar 1991: Dieses Datum ist im Erinnerungsreigen um Mauerfall und Wiedervereinigung bislang wenig präsent gewesen. Mit seinem Festakt zur konstituierenden Sitzung des ersten frei gewählten Gesamtberliner Parlaments erinnerte das Abgeordnetenhaus am Dienstag also auch an ein wenig bekanntes Stück Parlamentsgeschichte.
Und an ein kompliziertes obendrein, wie der ehemalige Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs, Klaus Finkelnburg, ins Gedächtnis rief. Schließlich waren die anderen Landesparlamente in der Ex-DDR lange vor Berlin zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammengekommen. In Brandenburg etwa, das mit der Vereinigung am 3. Oktober 1990 als Bundesland wiedergegründet wurde, fand die erste Sitzung am 26. Oktober 1990 statt.
Dass Berlin so spät dran war, erklärte Finkelnburg mit der "komplizierten Lage" auch nach dem 3. Oktober 1990. "Hier ging es nicht nur um ein gemeinsames Parlament, sondern darum, einen Stadtstaat wie Westberlin und eine Kommune wie Ostberlin zusammenzubringen." Weit über den Tag der Wiedervereinigung hinaus, so der Verfassungsrechtler, habe es in Berlin zwei Stadtregierungen, zwei Verfassungen, getrennte Verwaltungen und getrennte Gerichte gegeben.
Dass sich das erste gemeinsame Parlament im Januar 1991 konstituieren konnte, war letztlich einem Trick geschuldet, meinte Finkelnburg in seiner Rede. Im Oktober 1990 hatte die im Mai frei gewählte Stadtverordnetenversammlung Ostberlin einfach zum Stadtstaat erklärt. Schon im Juli, also noch vor der Vereinigung, hatte sich Ostberlin eine Verfassung gegeben. "Das war rechtlich problematisch", merkte Finkelnburg an. "Vielmehr war es ein revolutionärer Akt." Doch die Fortsetzung der friedlichen Revolution mit juristischen Mitteln führte schlussendlich zum Erfolg. Anfang 1991 hatte Berlin auch verfassungsrechtlich die Vereinigung vollzogen.
Allerdings vermissten es beide Seiten, eine neue gemeinsame Verfassung auszuarbeiten, wie es viele Bürgerrechtler gefordert hatten. Stattdessen übernahm Ostberlin die seit 1950 geltende Verfassung von Westberlin. Eine neue gab es erst 1995. Seitdem sind auch in Berlin Volksbegehren möglich - eine späte Hommage an die Parole des Herbstes 1989 "Wir sind das Volk".
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