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Geschichte des KommunismusNachruf auf eine große Hoffnung

Am Anfang war die kommunistische Idee, es folgten Parteien und Revolutionen in ihrem Namen. Archie Brown zieht Bilanz und fasst ihre weltweite Entwicklung zusammen.

Fall des Kommunismus: Das Ende "einer großen Illusion". Bild: ap

Wie viele Hoffnungen und wie viele Leichen verbinden sich mit der Geschichte des Kommunismus?

Da gibt es die von Millionen von Menschen in aller Welt getragenen Kämpfe für ein besseres Leben, inspiriert von der heute quasi schon fast religiös anmutenden Idee des Kommunismus. Und da gibt es die rund 10 Millionen Toten und etwa 30 Millionen Zwangsarbeiter allein in der Sowjetunion, die dem stalinistischen Terror zum Opfer fielen.

Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion hat sich Archie Brown darangemacht, ein vom Anspruch her umfassendes Werk über den "Aufstieg und Fall des Kommunismus" vorzulegen, der, wie er meint, "folgen- und opferreichsten politischen Ideologie der vergangenen Epoche".

Für den inzwischen emeritierten Professor für Politische Wissenschaften der Universität Oxford geht es um das Ende nicht einer großen Hoffnung, sondern "einer großen Illusion". Aber weil er persönlich nicht involviert ist und weil ihn bestimmte Fragen des linken Diskurses wie die nach dem korrekten revolutionären Weg nicht tangieren, nimmt er auch einen wohltuenden Abstand ein. Brown galoppiert auf 822 Seiten und zusätzlich über 100 Seiten mit Anmerkungen und Sachregister mit flotter Schreibe durch die Geschichte des Kommunismus.

Diese beginnt für ihn mit frühkommunistischen Ideen bei englischen Bauernaufständen im 14. Jahrhundert und endet bei den wenigen heute übrig gebliebenen Ländern wie China und Kuba, die er nominell als kommunistisch einstuft. Dabei kann Brown sehr gut zwischen den Jahren des stalinistischen Terrors und denen des sogenannten Gulaschkommunismus unterscheiden. Und neu für den deutschsprachigen Leser sind sicher einige der Anekdoten über die Kommunistischen Parteien im englischsprachigen Raum. Selbst Nebenaspekte wie die Faszination, die gerade "die kommunistische Doktrin" auf viele Menschen jüdischer Herkunft ausübte, streift er über mehrere Seiten.

Im Wesentlichen orientiert sich Brown am Aufstieg und Fall der Sowjetunion, weil sich nach seiner Einschätzung die Kommunisten in vielen Satellitenstaaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur dank deren Militärmacht an der Macht halten konnten. Aus diesem Blick "auf die Gewehrläufe" resultiert aber auch, dass sich sein Augenmerk zu oft auf das Handeln der Eliten richtet und zu wenig auf die Sozialprozesse in der Bevölkerung.

Beispielsweise beschreibt Brown die Tage, als Gorbatschow 1985 an die Macht gelangte, wie eine königlichen Hofintrige. Wer konnte wem welche Nachricht vorenthalten? Aber gleichzeitig betont er damit auch die Stärke und Handlungsfähigkeit der einzelnen Persönlichkeiten an der Macht und damit der Bedeutung Gorbatschows. Wie der damals 54-Jährige mit der Auswahl seiner Berater die Weichen für die weitere Entwicklung stellte und eben nicht nur durch ökonomische Prozesse getrieben wurde. Und wie er sich selbst entlang der gestellten Aufgaben zum Sozialdemokraten weiterentwickelte. Ohne Gorbatschow hätte nach Ansicht von Brown die Sowjetunion noch gut zwanzig Jahre so weitermachen können.

Dies widerspricht allerdings dem an anderer Stelle von Brown hoch gelobten größten Erfolg der Kommunisten. Während im Jahr 1939 nur 11 Prozent der Bevölkerung über eine Grundschulausbildung verfügten, waren es 1984 immerhin 87 Prozent. Unweigerlich gerieten so, ganz marxistisch betrachtet, die "Produktivkräfte" in Widerspruch zu den autoritären "Produktionsverhältnissen".

So "umfassend" wie Brown alle Themen und Aspekte anreißt, erfüllt er sicher ein wichtiges Kriterium "für ein Standardwerk". Aber Brown bleibt zu sehr an der Oberfläche, zählt oft nur auf, die meisten seiner Ausführungen gehen kaum über einen Lexikonartikel hinaus.

Und "ohne Konkurrenz", wie es im Klappentext heißt, ist Brown auf keinen Fall. Mit wesentlich mehr Erkenntnisgewinn liest sich "Der rote Terror", ein vor einem Jahr im Fischer Verlag erschienenes Taschenbuch zur "Geschichte des Stalinismus". Darin beschreibt Jörg Baberowski, Professor für osteuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität, die Geschichte der Sowjetunion als permanenten Bürgerkrieg der Bolschewisten gegen die eigene Bevölkerung und insbesondere die Bauern. Ausführlich verarbeitet Baberowski all die erst in den letzten Jahren ans Licht gekommenen und bisher unbekannten Dokumente aus den Moskauer Archiven.

Und gratis mitgeliefert bekommt der Leser noch drei Tage schlechte Laune wegen all der verpassten Chancen der Linken.

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2 Kommentare

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  • LS
    Lea Sieber

    Einen beachtenswerten Beitrag zum Thema haben auch Stéphane Courtois et.al. mit ihrem

    "Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror", 1999 bei Piper erschienen, geleistet.

  • IH
    Islenski Hesturinn

    Naja, mit Worten ist das so eine Sache. Die USA waren noch bis in die 1960er Jahre ein Apartheitstaat und die Atombomben und Brandbomben auf Tokio (durch Brandbomben mehr Tote als in Hiroshima, weil die Stadt damals vorwiegend aus Holz gebaut war) u.s.w. im II Weltkrieg und dann im Vietnamkrieg (wobei auch Laos stark bombardiert wurde) könnte jemand auch als Ende der "Demokratie" betrachten. Wird es aber nicht, und zwar zurecht! Etwas davon sollte man auch auf den "Kommunismus" anwenden. Wer hat die Definitionshoheit darüber. Die Stalinisten vielleicht? Das wäre ja fast so, als würde man manchen Leuten in der FDP die Definitionshoheit über den Begriff "Liberalismus" überlassen (naja, leider geschieht das sogar sehr oft).