Gescheiterte Suizidhilfe-Gesetze: Die Ängste dominieren
Die Politik scheut sich, die ärztliche Suizidhilfe zu institutionalisieren. Das begleitete Sterben bleibt also in der Grauzone – und ein Privileg.

G anz überraschend ist das Ergebnis nicht, aber man hätte sich ein anderes Resultat erhofft: In der Abstimmung des Bundestags über zwei Gesetzentwürfe zu einer Neuregelung der Suizidhilfe fand keiner der Entwürfe eine Mehrheit. Es bleibt also erst mal alles, wie es ist: Ärztliche Unterstützung beim Suizid wird zwar nicht unter Strafe gestellt, aber Beratungsstellen und einen leichteren Zugang zur ärztlichen Hilfe gibt es leider auch nicht.
Die Suizidhilfe lässt sich offenbar nicht mit Hilfe der Politik institutionalisieren. Zu groß sind die Ängste und Vorbehalte. In der Bundestagsdebatte wurde argumentiert, dass der Suizid beim Aufbau eines Beratungsnetzwerks und einem leichteren Zugang zur Selbsttötung zum „Normalfall“ werden könnte. Dass etwa Schwerstpflegebedürftige sich genötigt fühlen könnten, sich zu töten, statt dem Staat zur Last zu fallen.
Das sind Argumente, die etwas verlogen wirken. Schließlich könnte man für eine bessere Ausstattung von Pflegeeinrichtungen kämpfen, aber das will ja niemand bezahlen. Mit der Realität der Suizidwilligen und deren individuellem, starkem Leiden hat das Argument im Übrigen nicht viel zu tun. Pro Jahr nehmen sich nur 300 bis 400 Menschen mit ärztlicher Hilfe das Leben, mehr als 9.000 aber machen einen „harten“ Suizid, etwa durch Erhängen. Die Sterbehilfeorganisationen haben eigene Vorbedingungen, über deren Ausgestaltung man sicher streiten kann. Aber sie operieren nicht im rechtsfreien Raum, weil eine Anklage droht, wenn herauskommt, dass der oder die Suizidwillige unter Druck und nicht freiverantwortlich gehandelt hat.
Der Zugang zur Suizidhilfe bleibt also im Graubereich und privilegiert: Man muss im Bedarfsfall Ärzt:innen kennen, die unterstützen, oder Mitglied in einem der Vereine sein und auch ein bisschen Geld haben. Unter den Klient:innen der Vereine ist der Anteil von Akademiker:innen überproportional hoch. Die Suizidhilfe bleibt wieder sich selbst überlassen. Die Politik hat die Grenzen ihres eigenen Handelns diesmal buchstäblich selbst gewählt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links