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GerüchteMit Wärmflasche ins Kriechzelt

Britt will im Alter wieder Hippie werden. Guter Plan. Das passt zu Minirenten. Und was ist mit Camping zu Ostern?

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin der taz.

Freundin Britt hat ein großartiges Konzept für die späten Jahre: "Ich werde wieder Hippie", verkündete sie neulich, "herumreisen. Sich öffnen. Neue Leute kennenlernen. Das Materielle nicht mehr so wichtig nehmen." Man muss zugeben, dass die Idee logisch klingt. Das Konzept passt zu den Minirenten, die viele meiner Bekannten im Alter zu erwarten haben. Es würde ja Sinn machen, in wärmeren Ländern mit niedrigen Lebenshaltungskosten zu überleben und philosophischen Gedanken nachzuhängen, wenn schon der Spätkapitalismus nichts mehr von einem will.

Britt hatte zuvor "Shiva Moon" von Helge Timmerberg gelesen, das Buch über die Reise des über 50-jährigen Althippies und Schriftstellers durch Indien, das schon länger eine Runde dreht in meinem Bekanntenkreis. Nicht nur Mädels, auch Hasch spielen in dem Werk eine gewisse Rolle. Ohne gewisse Hilfsmittel geht es offenbar nicht. Am Ende zwingt eine Zahnwurzelentzündung Timmerberg, wieder eiligst zurückzufliegen nach Deutschland. Ohne gute Kassenzahnärzte geht es offenbar auch nicht.

"Das wäre doch mal eine interessante Frage, zu sehen, welche Autos stoppen, wenn wir mit 60 Jahren wieder die Daumen in den Wind halten", fährt Britt fort. Sie plant immer weiter voraus. Doch ich hatte an jenem Abend ein konkretes Thema. "Zelten oder Wohnwagen", wollte ich von Britt wissen, "für was würdest du dich entscheiden?"

Zu Ostern steht mein Sporturlaub an, Klettern an der Adriaküste in Italien. Und wohnen auf dem Zeltplatz. Nur sieben Euro pro Nacht werden für jeden fällig. Wir kochen selber. Dann käme endlich mal der Gaskocher zum Einsatz, den ich vergangenes Jahr erstanden habe. Mitsamt dem Reisekochbuch, in dem diverse Eintopfrezepte aufgelistet sind, die von der Autorin auf ihren Weltreisen ausprobiert wurden. Es gibt auf dem Zeltplatz auch Wohnwagen zu mieten, aber die sind teurer.

"Also Zelten", sagt Britt, "das ist schon heikel. Im April! Wenn es noch kalt ist, kann das klaustrophobisch werden. Als ich im vergangenen Frühjahr in Frankreich zwei Wochen im Kriechzelt wohnte, ging ich abends nur mit Wärmflasche in den Schlafsack." Kriechzelt! Das Wort kannte ich bislang nicht.

"Zelten hätte den Vorteil, dass wir ein Gruppencamp aufmachen und dann Rabatt verlangen können", hatte Sportkumpel K. erläutert, "dann werden die einzelnen Stellplätze noch billiger." "Gruppenerlebnis", sagt Britt, als ich ihr von der Rabattidee erzähle, "das ist heikel. Auf dem Campingplatz hört man alle Geräusche vom Nachbarn. Und wenn dann abends noch wer anfängt zu singen. Nervtötend."

Ich setze ja wieder ein wenig auf althergebrachte Gemeinschaftsformen, seitdem ich in meinem Bekanntenkreis erlebe, wie Kinder ausziehen, Ehen zerbrechen, Arbeitsplätze mitsamt den dazugehörigen KollegInnen verlorengehen. Und sich im Internet nächtelang um gegengeschlechtliche Partner zu bemühen, reicht als Alternative nun mal nicht aus. Um die Wahrheit zu sagen, habe ich mir über Amazon kürzlich sogar die "Enzyklopädie des Kartenspielens" kommen lassen. Einfach, um bei Pokern, Whist und Doppelkopf durchzublicken. "Kartenspielen!", meint Britt, "also das fand ich früher immer todlangweilig. Doppelkopfrunden. Das ist wie Skat am Stammtisch in der Kneipe. Dumpf. Als ob man sich sonst nichts zu sagen hätte."

Tja, aber was hatte man sich sonst zu sagen auf unseren Hippiereisen in der Jugend, wo wir zweifelsohne auch viele neue Leute kennenlernten? Waren die heißen philosophischen Debatten auf römischen Freitreppen nicht vor allem Teil des Mädchen-Jungs-Spiels? Und welche Spiele können wir heute spielen, ohne dass es um Jobs, Geld, Klugheit oder Schönheit geht?

Wäre es nicht ein bisschen romantisch, sich abends im Schein der Stirnlampen auf einem Campingplatz am Meer Whist beibringen zu lassen und dabei eine Flasche Merlot zu leeren? Ist natürlich wetterabhängig. "Vielleicht doch lieber Wohnwagen", sage ich, "falls es regnet." Nichts gegen ein bisschen Wetterschutz. Auch ein Hippie darf schließlich noch Wünsche haben.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

1 Kommentar

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  • CD
    Carl der alte Brigadier

    Auch wenn ich selber Bildungsreisen den Vorrang gebe, liebe Barbara Dribbusch, ihre Kolumne zeugt von einer exzeptionellen Heiterkeit und Entdeckungsfreude des Ausdrucks, die einen hoffen läßt, daß sich diese Sprache nicht gänzlich in technokratische Wortsplitter und Dativkonstruktionen auflöst.

     

    Unter chinesischen, australischen und südamerikanischen Deutschlernenden aller Altersgruppen erfreuen sich, wie mir aus persönlichen Kontakten bekannt ist, Kolumnen wie ihre übrigens großer Beliebtheit. Da gibt es viele, die sich mit dem Dictionary in der Hand über ihren Text hermachen würden.

     

    Es gibt also in der weiten Welt noch unerschlossene und nachwachsende Zielgruppen für die Produkte unserer Muttersprache.

     

    Ich würde der taz-online vorschlagen, eine Lernseite für Deutsch als Zweitsprache zu kreieren, wie das auch britische Medien in puncto Englisch zu tun pflegen.

     

    Herzlichst,

     

    Ihr Carl der alte Brigadier