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Gertrudes Kern

Robert Wilson inszeniert in Berlin Gertrude Steins „Dr. Faustus“  ■ Von Niklaus Hablützel

So bleiben manchmal Träume im Bewußtsein hängen. Eben noch war das Gesicht vertraut, der Raum vollkommen klar, wenn auch bedrohlich. Nun, nach dem Aufwachen, wissen wir nicht mehr, wohin damit. Wir haben diesen alten Bekannten noch nie gesehen, es war ja nicht nur einer, sondern viele, sie bewegten sich, gingen auf und ab, wo mag das nur gewesen sein? Wir können die Gespenster wegwischen, einfach vergessen, wir können sie deuten, wenn wir wollen, fast unmöglich ist es, sie so festzuhalten wie sie in dem einen Moment des Aufwachens gegenwärtig waren; jede Beschreibung verändert sie, macht das doch so einfache Bild kompliziert und sich selbst widersprechend.

Robert Wilsons Theater ist ein Versuch, diesen Punkt zu fixieren, den kurzen Augenblick ausdehnen, in dem die Logik des Traumes nicht mehr, und die des wachen Bewußtseins noch nicht gilt. Er gelingt nur selten, und seinerseits nur für kurze Momente. Es ist dann sehr schwer zu sagen, was auf Wilsons perfektionistischer Bühne geschieht. Im Grunde fast nichts, nichts zumindest, was sich deutlich von der beängstigend exakt berechneten Umgebung unterscheidet. Stundenlang sind die immerselben mechanischen, verlangsamten Gesten zu sehen, ein Schritt und noch einer, ein Arm und noch einer, dann ein Spasmus, noch ein Farbwechsel des Lichtes: die Manien eines Mannes, der sich treu bleibt. Sie sind ermüdend, längst scheint der Stil zum bloßen Markenzeichen hearbgewirtschaftet, dann aber geschieht es doch, ein oder zweimal sogar im Berliner Hebbel- Theater, wo am Mittwoch abend vor überwiegend illustrem Publikum Wilsons neuste Etappe auf diesem einen, sehr schmalen und unabsehbar langen Weg uraufgeführt wurde. Ein Schauspieler bewegt sich rückwärts an einem Lichtbalken entlang, offener Mund und weitaufgerissene Augen in der weißen Schminkmaske, der modische Anzug schlottert, verkleinert die Gestalt, simple amerikanische Worte über den Tod fallen eher, als daß sie gesprochen werden: in diesen wenigen Sekunden verabschiedet sich das Bewußstsein, nicht die künstliche Theaterfigur geht rückwärts, wir selbst tun es, kehren das Erwachen um bis die Grenze wieder erreicht ist, an der anfängt, was nachher Sinn heißt, Bedeutung beansprucht, Kunst erfordert und dergleichen mehr. Lauter Plunder ist das, da hat Wilson schon Recht, und man möchte gerne mit ihm darüber lachen wie hier, wo er sich mit Gertrude Steins Hilfe komisch gibt.

Wenn man es nur öfter könnte. Aber Wilson ist nun mal überhaupt nicht komisch, er ist geistesabwesend in seinen besten Momenten, also das genaue Gegenteil von Gertrude Stein, deren überwache Intelligenz sich immerzu in Sprachwitzen entladen mußte. Trotzdem hat es ihn, den hochbezahlten Regisseur gereizt, den gesamtdeutsch gehäuften Faust-Inszenierungen Steins Text Doktor Faustus Lights the Lights entgegenzusetzen: „An american Faust“, wie Wilson vor der Premiere mit einer Andeutung von Lächeln im Gesicht versichert hat.

Auch das ist seine Berliner Inszenierung geworden, nicht zuletzt dank Hans Peter Kuhns Musik. In der Tat hatte Gertrude Stein ihren Text 1938 als Libretto einer Oper konzipiert, in einem ironisch-sprichwörtlichen Sinne des Operns allerdings. Faust und Mephisto, die fundamentalen Deutschen, spielen sich groß was vor, Faust beschwert sich, er hat bloß das elektrische Licht erfunden, was ist das schon, „let me alone“. Will dann selbst zur Hölle fahren, das Gretchen kam doppelt verdoppelt als „Marguerite Ida and Helena Annabelle“ daher, mythisch von ganz undeutscher Art ist die Viper, die Evaschlange, die mit der Frau verbündet ist, dann aber, weil's viel hübscher klingt, als „Mr. Viper“ allerlei Reime treibt. Und Goethes Pudel wufft „Thank you“, wann immer es am wenigsten paßt: Schon Gertrude Steins Lieblingskomponist weigerte sich, dazu eine Musik zu schreiben, angeblich hat ihn der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges daran gehindert.

Kuhn hat sich mit ein bißchen Comedy-Getingel und Musical-Schmalz aus der Affäre gestohlen, hörbar beeindruckt von Tom Waits' rotzfrechem Klamauk, der Wilsons Black-Rider (nach Webers Freischütz) in Hamburg tatsächlich zur großen Comedy-Nummer gemacht hat. Aber Kuhn ist nicht Waits, die Sache droht manchmal peinlichst abzustürzen, denn Wilson braucht einen Konterpart, er verliert sich sonst in seinen Standbildern, glaubt ihnen allzu sehr und landet bei einer pastellfarbenen Sorte von Bühnenweihe — am schlimmsten, wenn er sich an den in dieser Hinsicht wehrlosen Richard Wagner heranmacht.

Auch Gertrude Steins Sprachjazz leidet erheblich unter dieser Neigung, die sich lieber im Raum als in der Zeit ausbreitet. Sehr typisch dafür (aber nicht sehr gut) ist die Idee, den Faustus von drei Schauspielern sprechen zu lassen: Der Text expandiert, doch sein Rhythmus geht in Echoeffekten verloren. Man möchte danach zu dem Buch greifen, um ihn wiederzufinden, aber auch dieses Interesse wird weniger durch Wilsons selbstgenügsame Bilderwelten geweckt, als durch den Widerstand, den die Schauspielschüler der Ostberliner Ernst-Busch-Schule geleistet haben. Es war Wilsons Wunsch, mit ihnen zu arbeiten, sie aber haben seiner Regie den dringend nötigen Stachel eingesetzt: Die meisten konnten kein Wort Englisch, das ist noch jetzt zu hören, Akzente verschieben sich fortwährend und lassen hören, wo sonst nur schönes Licht zu sehen wäre.

Mit Unterstützung mehrerer Theater Europas hat das Hebbel- Theater so eine wirklich lohnende Begegnung des wohl westlichsten aller Theatermacher mit der ostdeutschen Bühnentradition zustandegebracht. Wilson konnte sich auf das Schulhandwerk verlassen, das demjenigen der westlichen Schauspielstudenten überlegen sei, wie er sagt, und tatsächlich bewegen sich die jungen Ostdeutschen in seinem ausgeklügelten Arrangement mit — wortwörtlich — traumwandlerischer Sicherheit: als hätten sie keine Ahnung, wo sie sind. Eben deswegen erreichen sie, den Charme einer gänzlich unbekannten Sprache auf den Lippen, jenen Punkt des Erwachens, auf den es ankommt. Dann stehen sie da und haben das einfache Bild noch im Körper, das jetzt sofort in konfuse Bedeutungen zerfallen wird. Es hält eine Weile, zwar nicht den ganzen Abend, aber doch so lange, daß der Premierenapplaus zu Recht groß war.

Gertrude Stein: Doctor Faustus Lights the Lights , Regie: Robert Wilson, Hebbel-Theater Berlin, am 18., 20., 22., 26. April.

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