Germanistik in Afrika: "Seltsame Deutschland-Nostalgie"
Deutsch ist manchmal die Sprache des Trotzes, sagt Gilbert Dotsé Yigbe, Dozent der Universität von Lomé. Germanistik ist in Togo ein beliebtes Studienfach.
taz: Dr. Yigbe, Sie sind Germanist und arbeiten an der Universität in Lomé. Was machen Sie hier in Berlin?
Gilbert Dotsé Yigbe: Ich nehme an einer Konferenz am Seminar für Afrikawissenschaften an der Humboldt-Universität teil. Ich halte dort einen Vortrag über eine ghanaisch-togoische Theaterform, die vom frankophonen Theater verdrängt wird. Außerdem forsche ich hier zur Disziplinierung des sozialen Lebens an der westafrikanischen Küste nach der Ankunft der deutschen Missionare im 19. Jahrhundert.
Inwiefern haben die deutschen Missionare damals disziplinierend gewirkt?
Der Professor: Gilbert Dotsé Yigbe, geboren 1966, ist Leiter des Fachbereichs Germanistik an der Universität von Lomé.
Die Universität: An der Universität von Lomé sind rund 900 Studierende eingeschrieben. Neben Lomé gibt es in Togo auch in Kara eine Universität, allerdings ohne germanistisches Institut.
Die Kolonie: Togo und ein Teil von Ghana bildeten von 1884 bis 1914 die deutsche Kolonie Togoland
Sie haben zum Beispiel unsere Sprache und Kultur verschriftet, sie haben die Kinder in die Missionsschulen geholt und an einen Stundenplan gewöhnt. Überhaupt haben sie unser ganzes Leben nach der Uhrzeit strukturiert, was es vorher nicht gab.
Sie bewegen sich mit Ihren Forschungen im Grenzgebiet von Germanistik und Afrikawissenschaften. Tun das in Afrika viele Germanisten?
Einige Kollegen arbeiten genauso interdisziplinär wie ich, andere bleiben aber auch ganz streng dabei, Goethe, Schiller und Kafka auszudeuten. Ich stehe dem kritisch gegenüber. Wenn ich auf einer internationalen Germanistentagung bloß über Goethe sprechen würde, dann würde mich keiner ernst nehmen. Man sieht ja, dass ich kein Deutscher bin! Außerdem gibt es hier viele Wissenschaftler, die den kulturellen Hintergrund zu Goethes Texten viel besser kennen als ich. Mein Beitrag wäre dann eher, dass ich Goethe mit afrikanischen Augen lese und einen interkulturellen Vergleich anstelle.
Wird Germanistik aus Afrika in Deutschland für voll genommen?
Leider nicht. Obwohl es in Afrika sehr gute Germanisten gibt! Aber es gibt eine gewisse Angst, dass die vielleicht in Deutschland leben wollen und sich sogar um einen Lehrstuhl bewerben könnten. Außerdem sind wir fachlich nicht so gut ausgestattet. Deshalb genießt die südafrikanische Germanistik hierzulande ein größeres Ansehen als etwa die burkinische oder die togoische. Die Südafrikaner haben einfach mehr Geld, also mehr Dozenten, mehr Bücher. Trotzdem gibt es einzelne Professoren, die sich sehr für die afrikanische Germanistik engagieren, wie Professor Leo Kreutzer von der Universität Hannover. Er hat die Zeitschrift "Weltengarten" ins Leben gerufen, die in Deutschland erscheint und in der viele von uns publizieren.
Ist die Germanistik in den ehemaligen deutschen Kolonien - zum Beispiel in Togo, Kamerun, Tansania oder Namibia - besonders stark?
Nein, das kann man so nicht sagen. Wir in Togo sind zwar sehr aktiv, aber auch die Germanistik im senegalesischen Dakar hat in unserer Region einen ausgezeichneten Ruf. Allerdings gibt es in den ehemaligen deutschen Kolonien einen günstigen Rahmen für die germanistische Forschung, da viele deutschsprachige Texte über diese Länder vorhanden sind. Diese Texte müssen verarbeitet und übrigens auch übersetzt werden. Das ist ebenfalls eine unserer Aufgaben. An der Universität von Lomé haben wir zum Beispiel gerade den Text "Die Ewe-Stämme" von Jakob Spieth ins Französische übersetzt, damit unsere Kollegen aus den Fächern Geschichte, Anthropologie und Agrarwissenschaften damit arbeiten können.
Ist Deutsch ein wichtiges Schulfach an togoischen Schulen?
Als erste Fremdsprache lernen die Schüler ab der 7. Klasse Englisch. Ab der 11. Klasse wird dann zusätzlich am Gymnasium Deutsch oder Spanisch angeboten. Die meisten Schüler entscheiden sich für Deutsch. Es wäre besser, wenn man damit schon in der 9. Klasse anfangen würde, wie das unser Nachbarland Benin tut und, soweit ich weiß, auch Senegal, Burkina Faso und Elfenbeinküste. Französisch gilt bei uns übrigens nicht als Fremdsprache, sondern als Amtssprache. Alles läuft auf Französisch. Zu Hause spreche ich mit meiner Frau und meinen Kindern allerdings Ewe, unsere afrikanische Muttersprache.
Dennoch ist Germanistik ein beliebtes Studienfach, warum?
Es gibt immer noch eine seltsame Deutschland-Nostalgie: Togo galt ja als deutsche Musterkolonie! Ein paar Togoer trauern dieser Zeit absurderweise nach. Außerdem gibt es in der Nationalbibliothek, in Archiven und Haushalten viel historisches Material auf Deutsch. Mit dem will man sich auseinandersetzen. Manche wollen aber im Rahmen des Studiums auch einfach gerne mal nach Deutschland reisen. Hinzu kommt, dass die Germanistik bei uns ein gutes Ansehen hat: Die Dozenten haben den Ruf, preußische Tugenden zu besitzen.
Und womit beschäftigen sich Ihre Studenten besonders, etwa in ihren Magisterarbeiten?
Die Themen sind vielfältig: Vom Bild der Frau bei Goethe bis zu afrodeutschen Themen. Letztes Jahr hat jemand die alten togoischen Lieder, die von den deutschen Missionaren aufgezeichnet wurden, mit aktuellen Songs in Togo verglichen.
Was machen die Germanistik-Absolventen später?
Viele werden Deutschlehrer. Es gibt in Lomé immer mehr Privatschulen, und die benötigen sehr viele Deutschlehrer. Manche werden auch einfach Taxifahrer, so wie in Deutschland auch.
Sie sprachen von Deutschland-Nostalgikern: Ist die Kolonialzeit in Togo noch sehr präsent?
Den meisten ist das egal. Doch einige sagen schon: "Die Deutschen sind fleißig. Wie schade, dass die deutsche Kolonialzeit so schnell wieder zu Ende gegangen ist." Das ist völlig abwegig. Diese Menschen wissen zumeist nicht viel darüber. Oft ist Trotz im Spiel, man will sich gegen die Franzosen abgrenzen, die die Deutschen als Kolonialmacht ablösten und bis heute in Westafrika sehr präsent sind. Wissenschaftler tendieren durch ihren Umgang mit den alten, oft rassistischen Texten eher zu einer kritischen Haltung dieser Epoche gegenüber.
2005 gab es einen Brandanschlag auf das Goethe-Institut in Lomé. Einige Togoer waren damals aufgebracht, weil Deutschlands Regierung die togoische Führung kritisierte. Inzwischen wurde das Goethe-Institut renoviert. Wie sieht es dort heute aus?
Das Institut ist wieder instand gesetzt. Die Regierung Togos hat sich daran übrigens auch finanziell beteiligt. Für uns Germanisten ist das Goethe-Institut sehr wichtig. Wir lesen dort, recherchieren oder schauen das Fernsehprogramm der Deutschen Welle. Besonders wichtig ist für uns die gut sortierte Bibliothek. Manchmal schafft das Goethe-Institut sogar extra Bücher an, die wir benötigen. Erst wenn wir dort ein Buch nicht finden, recherchieren wir in der Bibliothek des französischen Kulturzentrums oder in der Universitätsbibliothek.
Was ist togoischen Studierenden besonders fremd, wenn sie deutsche Texte lesen?
Ich lese mit meinen Studenten momentan Gottfried Kellers "Kleider machen Leute", und diese Geschichte beginnt an einem regnerischen Novembertag. Da muss ich ihnen die vier Jahreszeiten erläutern oder erklären, was der Herbst auf symbolischer Ebene auch bedeutet, nämlich Vergänglichkeit und Niedergang. Bei uns in Togo ist es ganz anders: Das ganze Jahr scheint die Sonne. Es ist immer Sommer.
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