Gericht rügt Europas Antiterrorpolitik: Exil-Iraner erzielen Teilerfolg gegen EU
Der Europäische Gerichtshof kritisiert die Aufnahme der iranischen Volksmudschaheddin auf die EU-Terrorliste. Auch in Großbritannien hatte die Gruppe einen Prozess gewonnen.
Die Anti-Terror-Politik der EU ist erneut von einem europäischen Gericht gerügt worden. Das EU-Gericht Erster Instanz (EuG) hat gestern einen Beschluss beanstandet, mit dem die iranischen Volksmudschaheddin auf die EU-Terrorliste gesetzt wurden. Dennoch wird die Gruppe vorerst nicht von der Liste gestrichen.
Auf EU-Ebene existieren zwei Listen von Terrorverdächtigen, die es erlauben, die Konten von Personen und Organisationen einzufrieren. Die eine Liste wird vom UN-Sicherheitsrat aufgestellt und von der EU nur übernommen. Die andere Liste wird von der EU selbst zusammengestellt. Die Volksmudschaheddin stehen schon seit 2002 auf der EU-Liste. Ende 2007 waren dort 35 Personen und 30 Organisationen gelistet.
Die iranischen Volksmudschaheddin wurden 1965 in Opposition gegen die Diktatur des Schah gegründet. Auch nach der Islamischen Revolution wurden sie vom Staat verfolgt. An der Seite des Irak führten sie dann zeitweise Krieg gegen das Mullah-Regime. Später nahmen die von Massud und Mariam Radschawi geführten Volksmudschaheddin immer sektenartigere Züge an. In deutschen Fußgängerzonen sammeln sie oft Unterschriften.
Schon seit Jahren fordern die Volksmudschaheddin, dass sie von der EU-Terrorliste gestrichen werden. Sie betonen, dass sie schon seit Juni 2001 keine militärischen Aktionen mehr durchführen und sich von Gewalt und Terror distanzieren.
Einen ersten Erfolg erzielten sie im Dezember 2006. Damals entschied das EU-Gericht, dass die Listung aus rechtsstaatlichen Gründen nichtig ist, weil der Gruppe nie ein Grund für ihre Einstufung mitgeteilt wurde. Dies holte die EU nach und berief sich auf die britische Einstufung der Volksmudschaheddin als Terrororganisation. Doch auch in Großbritannien gingen sie vor Gericht und wurden im November 2007 von der Terrorliste gestrichen. Das zuständige Gericht bezeichnete die Aufrechterhaltung des Verbots als "pervers" (im Sinne von abwegig).
Gestern nun erreichten die Volksmudschaheddin einen erneuten Erfolg vor dem EU-Gericht. Die im Dezember 2007 erfolgte erneute Aufnahme auf die EU-Terrorliste sei "nichtig", weil sie sich nicht mehr auf die britische Listung stützen konnte.
Inzwischen hat der EU-Ministerrat im Juli 2008 die Exil-Iraner wieder auf die EU-Terrorliste gesetzt und sich dabei auf neue Erkenntnisse berufen. Nach Medienberichten stammen diese von der französischen Regierung. Diese nehme Rücksicht auf die iranische Regierung, um die Ölinteressen von französischen Firmen nicht zu gefährden.
Gegen diesen EU-Beschluss haben die Volksmudschaheddin erneut geklagt. Mit einer Entscheidung, bei der dann wohl auch inhaltliche Argumente geprüft werden, ist aber erst im nächsten Jahr zu rechnen. Im September hat der Europäische Gerichtshof außerdem entschieden, dass auch die Umsetzung der UN-Terrorliste in EU-Recht gerichtlich überprüft werden kann. Mit weiteren Schlappen der EU ist also zu rechnen. (Az.: T-256/07)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles