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Archiv-Artikel

„Gerechtigkeit hat eine heilende Wirkung“

Kriegsverbrecher und Folterer werden immer noch selten verfolgt. Flüchtlinge leiden unter der Straflosigkeit ihrer Peiniger, sagt Flüchtlingshelferin Bianca Schmolze. Sie leitet dazu an diesem Wochenende einen Kongress in Bochum

taz: Strafverfolgung ist ein politisches Thema. Wo ist der Zusammenhang zur medizinischen Flüchtlingshilfe?

Bianca Schmolze: Wir bieten den Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale Betreuung. Dabei hat sich herausgestellt, dass Flüchtlinge zu einem großen Teil traumatische Erlebnisse hinter sich haben – politische Verfolgung, Haft, Folter, Vergewaltigung, Bürgerkrieg. Wir wollen mit den Flüchtlingen Menschenrechtsverletzungen aufarbeiten, wir wollen, dass die an ihnen begangenen Verbrechen öffentlich gemacht werden. Wenn die Menschen wissen, dass ihre Peiniger verfolgt werden, hat das eine heilende Wirkung.

Eine gewagte These. Ist die heilende Wirkung von Strafverfolgung bewiesen?

Beweise für eine generell heilende Wirkung gibt es nicht. Einzelne Fälle von Besserung sind jedoch dokumentiert. Umgekehrt existieren aber zahlreiche Dokumente, dass die Straflosigkeit der Täter die Überlebenden in die Verzweiflung treibt. Wir wollen mit den internationalen VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen nun genauer prüfen, welchen Zusammenhang es zwischen Gerechtigkeit und Heilung gibt.

Beate Klarsfeld, renommierte Enthüllerin ungeahndeter Nazi-Verbrechen, hat gestern die Eröffnungsrede gehalten. Glauben Sie, dass die Ohrfeige, die sie 1968 Bundeskanzler und Ex-Nazi Georg Kiesinger verabreichte, zu ihrer seelischen Heilung beigetragen hat?

Die symbolische Ohrfeige war das Mindeste, was er verdiente. Beate Klarsfeld repräsentiert jedoch viel mehr: Ihr unermüdlicher Kampf gegen die Straflosigkeit alter und neuer Nazis ist Sinnbild für das viel zu seltene „gesunde Handeln“ nach dem Ende des deutschen Faschismus. Sie versuchte sogar untergetauchte Nazis nach Frankreich zu entführen, um sie dort vor Gericht zu bringen.

Was ist das Ziel des Kongress?

Ziel ist vor allem der Austausch von Erfahrungen mit den Organisationen aus anderen Ländern. So soll eine internationale Vernetzung erreicht werden. Der Kongress ist Teil eines Zwei-Jahres-Projekts, das die NRW-Stiftung für „Umwelt und Entwicklung“ finanziert. Am Ende sollen die Erkenntnisse in einer Studie verarbeitet werden.

Seit 2002 gibt es ein Völkerstrafgesetzbuch, nachdem auch vor nationalen Gerichten gegen Menschenrechts-Verletzer in anderen Staaten geklagt werden kann. Wer darf klagen?

Grundsätzlich jeder und jede. Wenn der Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im letzten Jahr einen Besuch in Deutschland gemacht hätte, so hätte es zu einem Prozess gegen ihn kommen können wegen der Foltervorwürfe in Abu Ghraib. Im letzten Jahr lag eine Anzeige gegen ihn vor, weshalb Rumsfeld sogar sein Kommen zur Münchner Sicherheitskonferenz absagte. Bisher haben die deutschen Gerichte jedoch keinen Fall angenommen. Es gibt da eine Gesetzeslücke: Wenn die heimische Justiz in der Lage ist, den Fall selbst zu verfolgen, hat das Vorrang vor dem universellen Klagerecht.

Wenn bei ihrer Studie herauskommen sollte, dass es keinen Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Genesung der traumatisierten Opfer gibt, geben Sie ihre Kampagne auf?

Nein, denn die negativen Wirkungen der Straflosigkeit sind ja in jedem Fall bekannt. Und für eine strafrechtliche Verfolgung der Täter gibt es ja noch viele andere gute Gründe. Wir machen das Projekt auf jeden Fall weiter.

INTERVIEW:NATALIE WIESMANN