■ Gerade mal Polen und Holländer beherrschen sie noch: Die Kunst der Kollektivbeschimpfung
Bekanntlich schwanken wir Deutschen zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Größenwahn. Kollektivbeschimpfungen seitens unserer Nachbarn tun uns gut, wir dürfen kollektiv beleidigt sein, unser Selbstmitleid wird gestärkt, unsere zerrüttete Identität richtet sich auf. Gott sei Dank, niemand kann uns leiden!
Unglücklicherweise zeigt dieses Schutzschild der Rundrum-Beleidigungen neuerdings Risse. So mußte die um das Ansehen der Deutschen im Ausland stets besorgte FAZ kürzlich melden, daß in Frankreich der gute alte „Boche“ nahezu außer Gebrauch geraten ist. Gut hundert Jahre tat das Schimpfwort, dessen Herkunft je nach wissenschaftlicher Laune entweder auf tête de boche = Holzkopf oder, noch älter, auf caboche/ cabos = Dickschädel zurückgeführt wurde, gute Dienste. Jetzt ist kein Ersatz in Sicht. Denn das von S. M. Carrère im Auftrag der Pariser Polizei herausgegebene Wörterbuch des Argot verzeichnet nur matte Synonyme: haricot vert (=grüne Bohne), Fridolin, frisé (=gekräuselt) und das unvermeidliche, gemeineuropäische „Fritz“.
Schwächlich auch, was die Italiener anbieten. „Crauti“ ist angloamerikanischer Abklatsch, „crucchi“ beleidigt möglicherweise nur die Behinderten. Die Dänen haben rein gar nichts vorzuweisen, außer den „Polse-Tysker“ (Wurst- Deutschen), eine schwächliche Replik auf die Bezeichnung „Speck- Dänen“, die zudem längst aus der Mode ist.
Im Westen schwenken nur noch die Holländer das aufrechte antideutsche Fähnlein. „Moffen“, etymolgisch mit Muffel verwandt und ursprünglich einen ungehobelten Klotz bezeichnend, hält nach Ansicht des Kölner Instituts für Niederlandistik die absolute Beschimpfungs-Monopolstellung und erfreut sich allgemeiner und regelmäßiger Verwendung.
Gut im Kurs liegt auch noch das Schweizer „Schwab“, ein Schimpfwort, das die bekannten schlechten Eigenschaften dieses Volksstamms (Belehrungssucht, Geiz, Auftreten in Rudeln) umstandslos auf die Deutschen in toto überträgt. Hingegen verfügen die benachbarten Österreicher nur über das matte „Piefke“, dessen preußischer Adressat sich längst aus der Geschichte abgemeldet hat und das jetzt nur noch die kleine Minderheit der wendisch-stämmigen Berliner (Suffix -ke) verunglimpft.
Schauen wir uns im Osten etwas genauer um, so darf den Tschechen bescheinigt werden, daß sie treu an „skopčák“ festhalten, was wörtlich die „Leute von den Hügeln“ heißt, aber konkret auf die hinterwäldlerischen Sudeten- und Böhmerwald-Deutschen gemünzt ist. Bedauerlicherweise hat das „Dederoni“ den Zusammenbruch des gleichnamigen Staatswesens nicht überlebt.
Bleiben uns als zuverlässigste Beschimpfer die Polen. „Szwab“ hat eine ähnliche Funktion wie sein Schweizer Pendant. Das mit dem tschechischen verwandte „szkop“ gilt als besonders gemein, wird aber nur begrenzt verwendet. „Hitlerowcy“, Synonym für „Nazis“, ist auf die ältere Generation beschränkt. Aber die Polen, sprachschöpferisch wie sie sind, haben ein neues, dem alten „Fryc“ (= Fritz) nachgebildetes Schimpfwort hervorgebracht. Es lautet „Helmut“, weibliche Form aparterweise „Helmutka“, und stammt aus dem Milieu des freien, hauptsächlich mit Autohandel beschäftigten Unternehmertums.
Aber stehen wir Deutsche selbst denn besser da? „Spaghetti“, „Polaken“ (sprachlich sogar korrekt von „polak“), Fidschis (auch nur eine Inselgruppe), der „Iwan“, der „Tommy“, der „Ami“ – kann aus diesem Material wirklich eine zeitgemäße, euro-atlantische Beschimpfungsfront aufgebaut werden? Besorgt: Christian Semler
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