Georgien-Krise weitet sich aus: EU befürchtet Eskalation
Frankreich hält es für möglich, dass Russland sein Machtstreben auf andere Ziele, wie etwa die Ukraine, ausweitet.
![](https://taz.de/picture/379568/14/sakozy.jpg)
Die politischen Beobachter in Brüssel beschäftigt derzeit vor allem eine Frage: Was erhofft sich die französische Ratspräsidentschaft von einem Sondergipfel zum Kaukasuskonflikt? Das Treffen der EU-Außenminister Mitte August hatte der Welt vor Augen geführt, wie uneins die Union in ihrer Haltung zu Russland ist. Vieles spricht dafür, dass die Regierungschefs bei ihrem Treffen kommenden Montag ein ähnlich diffuses Bild europäischer Außenpolitik vermitteln werden.
Seit Mitte August hat Russland allerdings dafür gesorgt, dass seine Fürsprecher in der EU zurückhaltender geworden sind. Zwei Punkte der von EU-Ratspräsident Sarkozy vermittelten Vereinbarung zwischen Russland und Georgien sind bis heute nicht erfüllt: Russland hat sich nicht auf die Vorkriegsgrenzen zurückgezogen, und eine internationale Friedenstruppe, die das russische Kontingent ersetzen soll, ist nicht vor Ort.
Wie ein Fachmann der EU-Kommission gestern lapidar erklärte, können von der EU beauftragte Hilfsorganisationen bislang weder in Südossetien noch in Abchasien operieren. Russland verlange, dass sämtliche Zuwendungen über russische Organisationen verteilt würden. Dazu sei die EU aber nicht bereit. In Georgien hat die EU bislang 6 Millionen Euro an Soforthilfe verteilen lassen, die Mitgliedsstaaten haben weitere 8,4 Millionen Euro aufgewandt. Tschechien will eine Geberkonferenz für Georgien organisieren.
Am meisten hat Russlands Präsident Dmitri Medwedjew die EU mit der Erklärung aufgeschreckt, Russland werde die Rechte russischstämmiger Bürger auch außerhalb des eigenen Staatsgebiets verteidigen. In den drei baltischen EU-Mitgliedsstaaten Litauen, Lettland und Estland leben große russische Minderheiten. Über ihre Rechte und Pflichten als Bürger der jungen, von Moskau unabhängigen baltischen Republiken gibt es ständig Streit.
Letzte Woche reiste EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering nach Lettland, diese Woche war Bundeskanzlerin Angela Merkel in Estland unterwegs. Beide erinnerten an den Artikel 5 des Nato-Vertrags, der die Bündnispartner zum militärischen Beistand verpflichtet, wenn ein Mitgliedsland der Nato angegriffen wird. An Russland sendeten beide die deutliche Botschaft, dass die baltischen Länder auf ihre europäischen Bündnispartner zählen können.
In einem Radiointerview hatte Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner gestern davor gewarnt, Russland könne nach Südossetien und Abchasien "andere Ziele" haben, zum Beispiel die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim oder Moldawien.
Während der Nato-Vertrag klar umrissene Reaktionen auf eindeutig definierte Konfliktfälle vorsieht, ist im europäischen Rahmen alles viel komplizierter. Europa ist auf Russland als Handelspartner, vor allem aber als Öl- und Gaslieferanten angewiesen. Die Drohung einiger Mitgliedsstaaten, die erst im Juni wiederaufgenommenen Verhandlungen für ein Partnerschaftsabkommen mit Russland erneut auszusetzen, kommt deshalb recht halbherzig daher. Denn vor allem an einer Energiepartnerschaft, also Vorkaufsrechten für die russischen Öl- und Gasvorräte, ist die EU viel stärker interessiert als Russland.
Auch der Vorschlag einiger EU-Regierungen, Russlands Beitrittsverhandlungen zur Welthandelsorganisation auszubremsen, steht auf tönernen Füßen. "An Russlands WTO-Beitritt sind doch vor allem europäische Geschäftsleute interessiert, die sich davon bessere Rahmenbedingungen für den Handel mit Russland versprechen", sagte ein Fachmann aus der EU-Kommission gestern hinter vorgehaltener Hand. "Russland selbst kann sehr gut ohne WTO-Mitgliedschaft auskommen."
Die Ankündigung des französischen Außenministers, sich auf dem Sondergipfel am Montag auf "Druckmittel" gegenüber Russland zu einigen, klingt vor diesem Hintergrund etwas hohl. Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering plädiert für eine "Doppelstrategie". Die EU solle "in klarer Sprache das russische Vorgehen verurteilen und doch mit der anderen Seite im Gespräch bleiben".
Pöttering hofft, dass die Kaukasuskrise Länder wie Polen oder Irland davon überzeugt, dass die EU den Lissabon-Vertrag braucht. Dieser verlangt, dass die anderen EU-Staaten beispringen müssen, wenn ein Land von der Energieversorgung abgeschnitten wird. Gerade Polen, das von russischen Gaskürzungen betroffen war, müsste einen derartigen Beistandspakt begrüßen.
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