George Michael in Berlin: Wo bleibt das Whiskeyglas?
George Michael bietet in Berlin gediegene Hotelbar-Musik mit Orchester. Seine Hits fehlen, klasse singen kann er noch. Nur den stilsicheren Gentleman nimmt man ihm nicht ab.
BERLIN taz | Zum einen ist es die Berliner O2 Arena, die ungefähr so viel Rock-n-Roll-Atmosphäre rüberbringt wie die alte Tante ICC in Berlin. Zum anderen heißt George Michaels Programm auch "Symphonica" - und mit einem Symphonieorchester geht es tendenziell eher gediegen zu. Das ist auch in Ordnung, schließlich ist der Mann 48, und zum Glück will nicht jeder alternde Sänger wie Mick Jagger sein.
Aber ein kleines bisschen mehr Bewegung auf der Bühne darf's schon sein als nur das Hin- und Hertragen eines Stuhls, auf dem der britische Sänger, Komponist und Songwriter mal sitzt und dann wieder nicht. Das größtenteils gleichaltrige Publikum wird andächtig Zeuge, wie Michael vor seinem wie in einer Austernschale hinter rotem Samt sitzenden Orchester mit der einen Hand das Mikro hält, mit der anderen - als einzige Bewegung - den Ton zu suchen, zu finden und zu balancieren vorgibt.
Da sonst nicht viel passiert, starrt man wie gebannt auf diese Hand, in der er eigentlich ein Whiskeyglas halten müsste, denn er macht die perfekte Hotelbar-Musik. Leise Melodien, die von seiner etwas zu laut gestellten, aber deshalb nicht minder großartigen Stimme übertönt werden.
Nach jedem Song gibt es aus der mit rund 11.000 Zuschauern ausverkauften Konzerthalle Riesenapplaus. Den hat er auch verdient - schließlich singt der Mann einfach klasse, und die letzte Konzerttour ist fünf Jahre her. Die hieß damals "25 live" und feierte gnadenlos alle Hits der vergangenen 25 Jahre ab. Seitdem gab es nicht viel zu bejubeln. Und darum wird jetzt gejubelt, weil er noch am Leben ist - das ist nach seinen diversen Drogenskandalen mitnichten selbstverständlich. Schließlich schläft er gern mal am Steuer ein oder brettert in ein Schaufenster. Dafür musste er vier Wochen ins Gefängnis.
Und wie sollte es anders sein, natürlich war diese eigentlich recht kurze Zeit irgendwie wichtig und brachte ihn weg von Cannabis und Fast Food wieder hin zum Songschreiben, zum Zigarettenrauchen und zu seiner neuen Leidenschaft - dem Twittern. "Ich trete mit den Tweets dem Bild des Geisteskranken entgegen, das bestimmte Presseleute seit Jahren von mir zeichnen wollen", erklärte er. Das ist, in der Gesellschaft von prominenten, etwas verwirrt wirkenden Dauertwitteren wie Ashton Kutcher und Jörg Kachelmann ziemlich ambitioniert.
Musik für Schwule
Außerdem hat er sich überlegt, dass er jetzt ganz explizit Musik für Schwule machen will. In schwuler Fachsprache wolle er sie direkt ansprechen, sagte er in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Auch das werden seine vielen weiblichen Fans treuherzig weglächeln und weiter seine Platten kaufen. Immerhin hat George Michael als Solokünstler und Teil des einstigen Popduos Wham! in den vergangenen 30 Jahren an die 100 Millionen Platten verkauft.
Die Ladys sind an diesem Abend entweder mit ihren Freundinnen oder einem treuen Begleiter im Anzug gekommen. Der schwulen Community stehen sie jedenfalls in Sachen etwas spießiger Eleganz nicht nach - soweit man das von Berliner Konzertbesuchern überhaupt behaupten kann.
Von den alten Songs wie "Careless Whisper", "Club Tropicana" oder "Jesus to a Child" ist nichts zu hören. Ganz zu schweigen von den großen Wham!-Hits "Wake me up before you go-go" oder "Last Christmas", die er noch mit seinem Boybandfreund Andrew Ridgeley sang, schon damals aber selber schrieb. Er spielt gerade mal drei Klassiker im Zugabe-Medley: "Amazing", "Im your man" und "Freedom". Vorher gibt es ruhige selbstreflektierende Balladen und eine Menge Coversongs: "Going to a town" von Rufus Wainright, "Let her down easy" von Terence Trent DArby, "My baby just cares for me" von Nina Simone und "Love is a loosing game" von Amy Winehouse.
Zu Police "Roxanne" sieht man Straßenhuren in BHs, und Dita von Teese tanzt burlesk zu Michael Bublés "Feel good". Zwischen ihren riesigen Leinwandbrüsten steht der kleine, schmale George Michael mit geschorenem Haupthaar, Sonnenbräune und Sonnenbrille, im nicht sehr schicken schwarzen Anzug und mit himmelwärts zeigenden schwarzen Schuhen.
Der Mann kann zwar singen, aber ein stilsicherer älterer Gentleman, der sein Alterswerk präsentiert, ist er nicht - da können die Streicher noch so viel streichen -, so weit ist es noch nicht, lieber George. Und warum nur müssen die Haare eigentlich so raspelkurz sein, wenn der Haaransatz doch durchaus noch vorhanden ist? Als das Pseudoseniorengefühl gerade droht die Stimmung vollends in gediegene Langeweile kippen zu lassen, schwebt eine, wie es scheint, unbefruchtete Eizelle über die Leinwand und versinkt natürlich auch genauso unbefruchtet wieder - endlich etwas zu lachen.
Wie Robbie, nur besser
Irgendwie muss man immer ein bisschen an Robbie Williams denken, nur dass George Michael ihm 15 Jahre voraus ist und die bessere Stimme hat. Aber auch der verließ die Boyband, hatte öffentliche Drogenprobleme und eine Hotellobby-Musik-Phase. Aber er ist nicht schwul. Und beide sind nicht so ruhig und weise, wie sie sich gern immer wieder mal geben.
Die entschleunigte Coverversion von New Orders "True Faith", die er mit vocalizerverzerrter Stimme vorspielt und zu dem tolle Nebelmännchen in buntem Licht tanzen, ist der originellste und witzigste Song des Abends. Wenn nicht gerade ein Video läuft, wird zur opulenten Lightshow mit kunstvollen Lichtornamenten - man darf das auch getrost Kitsch nennen - ein warmer, weicher Klangteppich gereicht, in den man sich einrollen und einschlafen möchte.
Eine Interaktion mit dem Publikum gab es entgegen seiner Ankündigung im Vorabinterview nicht. Weder erzählt er den Berlinern von der Trennung von seinem Freund Kenny Goss, noch erzählt er den einen oder anderen selbstironischen Schwank aus seinem bewegten Leben. Er erzählt überhaupt nichts. Als er am Schluss ruft "How youre doing?!", möchte man erschrocken zurückweichen: "Nun mal nicht zu persönlich werden, Mr. Michael!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt