Geografie Alastair Bonnetts Buch über seltsame Orte versammelt Irrtümer der Menschheit: Wenn Menschen endlich wieder Land sehen wollen
Der Titel lässt Schlimmes befürchten – „Die seltsamsten Orte der Welt“, das klingt nach „schneller, höher, weiter“, nach einer Aneinanderreihung hirnloser Rekorde um der Rekorde willen. Doch – welch Wohltat – dieses Buch ist ganz anders, als es der Titel verspricht. Nämlich richtig gut.
Der britische Geograf Alastair Bonnett, seines Zeichens Professor für Sozialgeografie an der Universität Newcastle, hat das offenkundig Seltsame danach definiert, was uns zwar auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint, tatsächlich aber geradezu als typisch für die menschliche Zivilisation auf diesem Globus angesehen werden muss. Die Orte und Unorte, die hier beschrieben werden, stellen sich allesamt als Irrtümer der Menschheitsgeschichte heraus – manchmal mit einschneidenden Konsequenzen für deren Zukunft, bisweilen aber auch ohne ernsthafte Folgen.
Zu letzteren Beispielen zählt etwa Sandy Island, gelegen im tiefsten Pazifik östlich des australischen Bundesstaats Queensland, dessen Existenz seriöse Seekarten, weltberühmte Zeitungen und selbst Google Earth unzweifelhaft nachgewiesen haben. Nichtsdestotrotz entpuppte sich das Inselchen australischen Forschern, die es 2012 näher in Augenschein nehmen wollten, als schlicht inexistent. Es gibt die Insel nicht. Sandy Island ist damit ein gutes Beispiel für immer wiederkehrende geografische Irrtümer, vor denen wir uns im21. Jahrhundert gefeit glauben, und für den verständlichen Wunsch von Seefahrern, endlich wieder Land sehen zu wollen, schreibt Bennett.
Gar keinen Spaß hingegen stellt die schwimmende Insel aus Plastikmüll dar, die von Wissenschaftlern unter dem Namen Pacific Trash Vortex geführt wird. Sie hat zwar die Sage von den schwimmenden Inseln endlich Realität werden lassen, auf ihre Existenz hätten wir aber gerne verzichtet. Ähnliches dürfte die Mehrheit der Menschheit über die sogenannten schwimmenden Malediven denken, auch wenn deren Müllproblematik ganz anders gelagert ist. Es handelt sich um Luxusinseln für Superreiche, erbaut, auf dass dieses Reich abgeschlossen bleibt vom Leben des Plebs.
Überhaupt Inseln: Bonnett geht dem Phänomen der unzugänglichen Verkehrsinsel inmitten kreuzungsfreier Autobahnen nach, wirft einen Blick in den milliardenschweren Genfer Freihafen, der als gigantische – und zollfreie – Abstellkammer hochwertiger Kunst dient, und er nimmt den Leser mit auf das Fürstentum Sealand, gelegen auf einer Seefestung aus dem Zweiten Weltkrieg und international so wenig anerkannt wie andere Beispiele sezessionistischer Abtrünniger, aber dafür mit eigenen Briefmarken gesegnet.
Auf die meisten der hier versammelten seltsamen Orte, die Bonnett im angenehmen britischen Plauderton, aber doch wissenschaftlich exakt verweist (es fehlen nur die Fußnoten!), könnte die Menschheit, die sie selbst angerichtet hat, gerne verzichten. Aber nicht auf alle. Man lese etwa das Kapitel über den Fuchsbau.
Andere erscheinen zumindest einen gewissen Sinn zu ergeben, wie etwa das Parkdeck E des internationalen Flughafens von Los Angeles. Warum, das wird hier nicht verraten – schließlich wecken seltsame Orte und ihre Erforschung geradezu zwangsläufig eine unersättliche Neugier, die bei der Lektüre dieses Buchs kompetent gestillt werden kann.
Klaus Hillenbrand
Alastair Bonnett: „Die seltsamsten Orte der Welt“. Aus d. Engl. v. A. Wirthensohn. Beck, München 2015, 296 S., 19,95 Euro
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