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Genscher ist gegen Anerkennung

■ Der neue Staat „Bundesrepublik Jugoslawien“ ist bisher nur von Griechenland, Rußland und China anerkannt worden/ EG-Botschafter bleiben in Belgrad/ Kämpfe in Sarajevo halten an

Sarajevo/Prag (ap/taz) — Nur wenige Stunden nach dem von Sarajevo geforderten Abzug der Bundesarmee aus Bosnien-Herzegowina sind am Dienstag in der Dreivölkerrepublik erneut schwere Kämpfe entbrannt. Der Ausbruch von Gewalt nährte Zweifel am Erfolg der Lissaboner Beratungen über die Zukunft Bosniens, zu denen am Dienstag auch Vertreter der Kroaten hinzustoßen sollten. Bundesaußenminister Hans- Dietrich Genscher erklärte, die am Montag in Belgrad ausgerufene Bundesrepublik Jugoslawien, die nur noch aus Serbien und Montenegro besteht, sei nicht Rechtsnachfolgerin des bisherigen Staates.

Genscher erklärte im Anschluß an eine Unterredung mit dem EG-Ratsvorsitzenden Joao de Deus Pinheiro, Belgrad könne daher auch nicht die Mitgliedschaft des alten Staates in internationalen Organisationen wahrnehmen. Das neue Jugoslawien bedürfe der internationalen Anerkennung ebenso wie die anderen Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien. Die Anerkennungsfrage ist für Serbien deshalb so brisant, weil nach dem Kriterienkatalog der Europäischen Gemeinschaft vor der diplomatischen Anerkennung die Sicherung von Minderheiten- und Bürgerrechten gewährleistet sein muß. Angesichts der Unterdrückung der Albaner im Kosovo und der kulturellen Benachteiligung der Ungarn in der Wojwodina müßte die in diesem Falle von großen Teilen der Bevölkerung getragene Innenpolitik korrigiert werden. So war es nicht verwunderlich, daß es zu Freudenausbrüchen in Belgrad kam, nachdem der Rücktritt Genschers bekanntgegeben wurde. Der Rücktritt wird hier als Folge von Genschers Serbien-Politik gewertet.

Die EG wird den neuen Staat voraussichtlich insofern anerkennen, als sie die diplomatischen Beziehungen zu Belgrad aufrechterhält. Dabei wird Griechenland seine Sonderrolle in den Beziehungen zu Belgrad beibehalten. Der griechische Ministerpräsident Konstantin Mitsotakis wird am Donnerstag zu einem Besuch erwartet. Griechenland hatte als einziges EG-Land die Proklamation der „Bundesrepublik Jugoslawien“ gutgeheißen. Auch China und Rußland erkannten den neuen Staat schon an. Die übrigen Botschafter der EG- Staaten hatten die Zeremonie ebenso boykottiert wie die Vertreter der USA, Japans und Österreichs. Diplomaten der USA allerdings ließen durchblicken, bei einer Einstellung der Kämpfe in Bosnien könnte die diplomatische Isolierung Serbiens verschoben werden.

Der tschechoslowakische Außenminister Jiri Dienstbier erklärte am Dienstag, Deutschland, die CSFR und Schweden würden gemeinsam den Abzug aller bewaffneten Kräfte aus Bosnien fordern, die nicht unter der Befehlsgewalt dieser Republik stünden. Genscher und Dienstbier unterstützten damit eine Forderung des bosnischen Republikpräsidiums von Montag abend, in dem ebenfalls der Abzug der Bundesarmee gefordert worden war.

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