Genossenschaftsversammlung der taz : Aufbruch in die digitale Zukunft
Die Seitenwende der taz steht als Motto über der diesjährigen Genossenschaftsversammlung: eine Art Spielbericht.
Am 13. September ist der Festsaal Kreuzberg gut gefüllt, die Stimmung wie vor Anpfiff eines großen Spiels. Über allem steht das Motto: Seitenwende. Ein Wort, das eine fundamentale Transformation für die taz bedeutet: den Abschied von der gedruckten Zeitung unter der Woche – und den Aufbruch in die digitale Zukunft.
Die Transformation wurde bereits in der letzten Saison angepfiffen, als auf der Genossenschaftsversammlung 2024 das Ende der gedruckten Tagesausgabe verkündet wurde. Am 17. Oktober 2025 soll das Finale stattfinden. Doch die Seitenwende ist kein Spiel, das in den ersten Minuten entschieden wird.
Mit dem Startschuss begann ein langer Kampf um Haltung und Zusammenhalt. Leser:innen, Genoss:innen, Verlag und Redaktion trainieren seitdem für eine neue Aufstellung.
Heute werden die Trainingserfolge vorgestellt. „Hatten Sie ein gutes Mittagessen?“, fragt Geschäftsleiterin Lana Wittig zur Eröffnung des öffentlichen Teils und erntet Lachen – ein lockeres Aufwärmen. Kurz darauf eine gute Nachricht: 25.068 Genoss:innen unterstützen mittlerweile die Zeitung – das Ziel von 25.000 für 2025 ist also erreicht.
Geschichten dazu sorgten für Heiterkeit: etwa die der jungen Dagmar, die gar nicht so jung war, sondern beim Antragstellen aus Versehen das Datum ihrer Tochter angab. Die größte Genossenschaftsfamilie zählt elf Mitglieder – eine komplette Fußballmannschaft. Und ein Berliner Genosse schenkte dem Generationenprojekt gleich 20 Anteile.
Es braucht eine gute Strategie
„Wow!“, „Ui!“, ruft das Publikum. Doch es gibt auch ernste Töne: „Wir wollen niemanden verärgern, sondern über Generationen hinweg im Gespräch bleiben“, sagt Wittig. Denn das Spiel wird andauern, da braucht es eine gute Strategie.
Als sich neue Zuschauer:innen ins Publikum setzen, kommentiert jemand erfreut: „Die jungen Leute!“ Ein junger Genosse wünscht sich Workshops, zu denen er Freunde mitbringen könne, um neue taz-Fans zu bekommen.
TripAdvisor für die Linke Szene
Impulse von außen gibt es per Videobotschaft: Sven Gössmann (dpa) nennt die taz einen „TripAdvisor für die linke Szene“ und sagt: „Alle werden euch für diesen Schritt beneiden und folgen.“ Auch Ex-Chefredakteurin Bascha Mika bestärkt: „Klar, das sind viele Veränderungen – aber die Richtung stimmt.“
Willi Vogelpohl bringt die Stimmung auf den Punkt: „Je näher die Seitenwende rückt, desto besser fühlen wir uns. Das liegt an euch Genoss:innen.“ Doch manchmal müsse man die Fans an die Hand nehmen – weshalb die taz auf „Seitenwende-Tour“ ging, um mit Leser:innen ins Gespräch zu kommen.
Jubel bricht aus, als die 15-jährige Jette auf die Bühne kommt – Protagonistin einer wochentaz-Titelgeschichte über das Aufwachsen als Linke im Brandenburger Land. „Solche Geschichten wie die von Jette zeigen viel besser, wo wir in Zukunft hin wollen, wem wir eine Stimme geben wollen“, sagt die Chefredakteurin der wochentaz, Luise Strothmann.
Die Erleichterung ist spürbar
Dann wird der Ball an die Geschäftsführung und die Chefinnenredaktion übergeben. Geschäftsführerin Aline Lüllmann erklärt: „Letztes Jahr waren alle angespannt, heute spürt man die Erleichterung.“
Stellvertretende Chefredakteurin Katrin Gottschalk bemüht den Fangesang von Union Berlin „Mit euch an unserer Seite werden wir niemals untergehen.“ Zum Abschluss halten sie zu „Thank you for the music“ von Abba die Buchstaben D-A-N-K-E in die Luft.
Doch auch die „Aussprache“ gehörte zum Spiel. Genoss:innen stellen kritische Fragen, vor allem Männer mittleren Alters – treue Fans des gedruckten Produkts. Sie sprechen über Zulieferer, über Lesekomfort digital, über Aufmerksamkeitsspannen.
Kein Elfmeter in der Nachspielzeit
Keine Pfiffe, aber viel Nostalgie. Die Seitenwende ist kein Elfmeter in der Nachspielzeit, sondern eine lange Saison voller Training, Leidenschaft und Taktikanpassungen. Die Fans sind dabei, die Mannschaft hochmotiviert und das Spiel um die Zukunft der Zeitung geht in die entscheidende Phase.
Ob alle die Seite wechseln, wird sich zeigen – sicher ist nur: Die nächste Saison bleibt spannend.