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■ Generationenvertrag gefährdet: Chor des BKA sucht NachwuchsAmtsfremde Stimmen willkommen

Im Saal ist es mucksmäuschenstill. Die Stimmung ist erhebend, fast schon ein wenig feierlich. Der Chorleiter gibt den Einsatz. Nein, nicht „Am Brunnen vor dem Tore“, es ist ein Stück von Vivaldi. Leichtes Kribbeln in der Nackengegend. Wunderschön, die Sängerinnen und Sänger müssen lange geübt haben. Diese Idylle könnte bald ein jähes Ende finden: Der Chor des Bundeskriminalamtes hat massive Nachwuchsprobleme, und wenn die Chorgemeinschaft nicht bald mit frischen und vor allem jungen Stimmen verstärkt wird, dann muß die Arbeit eingestellt werden. Die Lage ist inzwischen so ernst, daß der Ehrenvorsitzende Dr. Manfred Hecker die Kollegen vom Statistischen Bundesamt um Amtshilfe gebeten hat. Prompt wurde ihm der Abdruck eines ganzseitigen Aufrufs in der Hauspostille „Im Amt“ gewährt. Immerhin besteht der BKA-Chor seit 38 Jahren – und er hat als erster Polizeichor Deutschlands auch einen Frauenchor ins Leben gerufen.

Doch nun fehlt dem Chor die ausgewogene Altersstruktur. „Chorgesang – welche Richtung auch immer – braucht den Generationenvertrag; ohne ihn ist seine vorrangige Zielsetzung, über Dienstränge und Organisationseinheiten hinweg in harmonischer Geselligkeit eine musikalische Leistung zu erbringen, nicht möglich“ – so Hecker in seinem Aufruf. Obwohl seit langem auch amtsfremde Sängerinnen und Sänger beim BKA mitsingen dürfen, liegt das Durchschnittsalter über der Renteneintrittsgrenze. „Es sind überall die gleichen Probleme,“ sagte die Vorsitzende Angelika Junker zur taz, „deshalb legen wir jetzt die Altersgrenze bei 65 Jahren fest – weil es die Stimmen für den Chorgesang einfach nicht mehr bringen. Wir wollen aber niemand ausgrenzen, denn für viele ist das auch eine soziale Nische, ein Treffpunkt, zu dem jeder kommt. Deshalb haben wir das jetzt geteilt: Es gibt eine Probe, auf der alle singen dürfen, und die wird ein bißchen auf die Fähigkeiten und Interessen der Sängerinnen und Sänger ausgerichtet. Und danach haben wir das Projekt, wie jetzt Vivaldi. Da wird diese Altersgrenze greifen, es sei denn, der Einzelfall stellt sich anders dar.“

Das anspruchsvolle Vivaldi- Projekt ist der Versuch, etwas Neues zu bewegen und voranzubringen – nicht nur, um das Ende des Chors abzuwenden. Bei diesem Projekt gibt es auch ein Orchester, schließlich findet in zwei Jahren in der Rhein-Main-Gegend das Bundessängerfest 2000 statt, und daran nehmen 50 Polizeichöre aus dem ganzen Bundesgebiet teil. Da will man schon im rechten Licht erscheinen. Schon jetzt ist das Repertoire breit gefächert: Neben dem Standardprogramm, wie etwa zu Beerdigungen oder zur Weihnachtszeit, singt der BKA-Chor auch modernere Stilrichtungen wie Folk, Rock oder Gospel. Der Chor will ein bißchen mit der Zeit gehen und hat deshalb auch schon Beatles-Lieder und Lollipop einstudiert. Für anspruchsvolle Lieder aus der klassischen Musik fehlen einfach die Stimmen. Aber gerade deshalb hat man eine Zäsur gemacht: Mit dem Klassik-Projekt hofft man beim BKA die Jungen begeistern zu können. Es erfordert viel Einsatz, und es soll noch in diesem Jahr in der Adventszeit zur Aufführung kommen.

Wer in Wiesbaden und Umgebung wohnt, jünger als 65 ist und mitsingen will, kann sich bei Frau Junker im Bundeskriminalamt melden: (0611) 555416. Beamtenstatus oder BKA-Zugehörigkeit sind nicht erforderlich. Vielleicht kommt es auch irgendwann – jetzt mal rein hypothetisch – zu einem gemeinsamen Konzert mit dem Chor des BKA und dem taz-Chor. „Va pensiero“, Giuseppe Verdis Gefangenenchor aus „Nabucco“, wäre doch ein angemessenes Projekt. Aber dazu brauchen nicht nur die Sängerinnen und Sänger beider Chöre viel Luft. Dieter Grönling

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