: Geldstrafe für Kabaretteinlage
■ Landgericht München verhängt 1.200 Mark Strafe wegen Aufforderung zum Volkszählungsboykott / Die erste Instanz hatte Patentanwalt freigesprochen
München (taz) - In einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht München I wurde gestern der Münchner Patentanwalt Dr. Rolf W. wegen Aufforderung zur Sachbeschädigung zu 30 Tagessätzen in Höhe von 40 Mark verurteilt. Der bisher nicht vorbestrafte Naturwissenschaftler war in derselben Sache vom Amtsgericht freigesprochen worden, die Staatsanwaltschaft hatte Berufung eingelegt. Im Mai 1987 hatte der jetzt Verurteilte auf einer Veranstaltung der Haidhauser Bürgerinitiative zum Thema Volkszählung eine schauspielerische Einlage zum besten gegeben. Unter dem ausdrücklichem Hinweis, er wolle die anwesenden mündigen Bürger nicht zu Straftaten auffordern oder ermuntern, hatte er mit einer überdimensionalen Schere die rechte obere Ecke von einem weißen DIN–A4–Blatt abgeschnitten. An dieser Stelle befindet sich bei einem Volkszählungsbogen die Nummer. Seinen Auftritt beendete er mit dem Satz: „Hoffentlich habt ihr jetzt alle verstanden, wie ich die Volkszählung boykottieren würde.“ Als strafbare Aufforderung beurteilte das Gericht sein Verhalten. Sein ausdrücklicher Hinweis, nicht auffordern zu wollen, wurde aufgrund dieses Schlußsatzes als Verschleierung aufgefaßt. Die von der Verteidigung benannten Zeugen hatten zwar bestätigt, daß sie sich nicht „aufgefordert“ gefühlt hatten, wurden aber vor der Kammer des Münchner Landgericht wegen ihrer kritischen Einstellung zur Volkszählung als nicht besonders glaubwürdig angesehen. Das Abschneiden der Heftnummer wertete das Gericht in Anlehnung an zwei umstrittene Urteile der Oberlandesgerichte Celle und Köln als Sachbeschädigung, weil dadurch der Gebrauch der Bögen beeinträchtigt werde. Obwohl der Volkszählungsboykott nur eine Ordnungswidrigkeit darstellt, werden Boykotteure nach Ansicht des Verteidigers, Hartmut Wächtler, über die Konstruktion der Sachbeschädigung als Straftäter verfolgt, wenn sie die Heftnummer abgeschnitten haben. Gegen das Urteil hat die Verteidigung Revision angekündigt. Als Folge des Verfahrens befindet sich der verurteilte Patentanwalt in der polizeilichen Datensammlung APIS, die personenbezogene Angaben über Straftaten „mit staatsfeindlichem Hintergrund“ enthält. Mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht versucht der Anwalt des Verurteilten diese Eintragung zu beseitigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen