Geld: Aufwärts, immer aufwärts
Der DAX hat den Höchststand erreicht: 8.151. Interessieren dürfte das eher Anleger aus dem Ausland. Die Deutschen haben noch den letzten Crash in Erinnerung.
Viele Anläufe musste der Deutsche Aktienindex (DAX) in den vergangenen Wochen nehmen - gestern Morgen hat er es geschafft: Der Rekord aus dem Zeitalter des Internetbooms ist gebrochen. Auf 8.151 Punkte kletterte der Index gleich nach Handelsbeginn, 15 mehr als am 7. März 2000.
Schon Anfang Juni hatte der DAX kurz die 8.000er-Marke durchbrochen. Doch seither knickten die Kurse immer wieder ein. Gestern ließen ausgezeichnete Vorgaben aus New York (siehe Kasten) auch hierzulande die Kurse steigen. Aber gleich folgte wieder ein Rückzug. Stößt der aktuelle Börsenboom an seine Grenzen?
DER DAX
Der Deutsche Aktienindex (DAX) gilt als das wichtigste Kursbarometer der deutschen Börse. Am 1. Juli 1988 wurde der Index der 30 wichtigsten deutschen Industriewerte offiziell an der Börse eingeführt, mittlerweile gilt das Kursbarometer als Symbol für die deutsche Volkswirtschaft und wird in einem Atemzug mit dem amerikanischen Dow-Jones-Index und dem japanischen Nikkei-Index genannt.
Aktuell wird der DAX geleitet von den Schwergewichten Siemens (10,3 Prozent), Eon (10,1 Prozent), Allianz (9,35 Prozent), DaimlerChrysler (8,23 Prozent) und Deutsche Bank (6,8 Prozent). Damit die Werte möglichst genau die Struktur der Wirtschaft widerspiegeln, werden die 30 Favoriten regelmäßig auf ihre Berechtigung und Gewichtung überprüft. So schied Mitte Juni das Chemieunternehmen Altana aus, dafür spielt jetzt der Pharmakonzern Merck in der Ersten Börsenliga mit.
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DER BOOM
Es war die gute Nachricht aus New York, mit der Aktienhändler in Frankfurt gestern an den Start gingen: Der Dow-Jones-Aktienindex hatte einen Sprung von mehr als 2 Prozent gemacht und landete auf 13.861 Punkten bei einem neuen Rekord. Dabei hatten die Kurse in den USA seit Anfang Juni eher einen Zickzackkurs vollführt.
Zwei Faktoren begeistern die Investoren: Zum einen zeigten gute Zahlen des Einzelhandels, dass der Konsum weiter stark ist. Das entkräftet Befürchtungen, dass die Immobilienkrise in den USA die Verbraucher zur Zurückhaltung zwingen und damit die Konjunktur einbrechen würde. Zum anderen gab es eine Entscheidung in der Übernahmeschlacht um den kanadischen Aluminiumkonzern Alcan. Dies gilt als Beleg dafür, dass der Übernahmeboom, der den Börsenboom angetrieben hatte, nicht vorbei ist. Investoren, die schon auf das Fallender Kurse spekuliert hatten, machten deshalb eine Kehrtwende, um nicht auf Verlusten sitzenzubleiben. Das trieb die Kurse weiter nach oben. Einmal mehr zeigte sich: Der Boom treibt den Boom
Die Börsenwelt ist da gespalten. Sorgenvoll blicken die einen auf den erneuten Anstieg der Erdölpreise, den Einbruch des US-Immobilienmarkts und die voraussichtlich weiter steigenden Zinsen, die Investitionen verteuern. Andere dagegen verweisen auf die konjunkturelle Erholung in Deutschland, das weltweit kräftige Wirtschaftswachstum und die guten Unternehmenszahlen. Weder im internationalen Vergleich noch bezogen auf die Unternehmensgewinne seien deutsche Aktien überbewertet, so die Mehrheitsmeinung der Analysten. Die Deutsche Bank etwa sieht den DAX zum Jahresende bei satten 8.500 Punkten. "Die Entwicklung steht diesmal auf einer viel solideren Basis", meint auch Gerrit Fey vom Deutschen Aktieninstitut (DAI). "Das ist ein großer Unterschied zum letzten Boom."
Die meisten deutschen Privatanleger interessiert das nicht. Seit sie sich beim letzten Crash die Finger verbrannt haben, meiden sie Aktien. Obwohl die Kurse an der Frankfurter Börse seit 2003 nur eine Richtung kennen, nämlich nach oben, sinkt die Zahl der privaten Aktionäre in Deutschland nach DAI-Angaben kontinuierlich. Aus 12,8 Millionen Aktionären im Jahr 2001 wurden 2006 nur mehr 10,3 Millionen. Aktienexperte Fey bedauert das: "Die privaten Anleger tun leider häufig das, was man nicht tun sollte. Sie zögern, statt zu kaufen, wenn es billig ist."
Mehr als die Hälfte der Aktien befindet sich stattdessen in Besitz von anderen Unternehmen sowie Banken und Versicherungen. Zunehmend kaufen sich auch ausländische Investoren in Deutschland ein. Und nicht nur hier. Auch an den meisten anderen Börsen der Welt klettern die Kurse rasant.
Die Nachfrage treibt bekanntlich den Preis in die Höhe - und die Nachfrage nach Aktien ist weltweit hoch. Unglaublich viel Geld ist auf dem Globus unterwegs auf der Suche nach lukrativer Verwertung. In den Worten eines Frankfurter Händlers: "Die Hausse ist liquiditätsgetrieben."
Diese Geldschwemme hat mehrere Ursachen. Eine ist, dass die Reichen immer reicher werden. Und da sie ihr Geld beim besten Willen nicht vollständig für den täglichen Konsum ausgeben können, legen sie es eben an - gerne an der Börse, weil die nun mal gute Gewinne verspricht. Aber das ist längst noch nicht alles.
Viel Geld fließt aus dem Süden und Osten an die großen Börsenplätze. Rohstoffreiche Entwicklungsländer kaufen sich mit ihren Exporteinnahmen in die Unternehmen der Industrieländer ein. Dubai zum Beispiel hat gerade erst einen Teil seiner Petrodollars in die Airbus-Mutter Eads investiert. Noch mehr Geld haben die Russen. Sie besitzen schon länger einen Anteil an Eads und erwarben auch Aktienpakete an Firmen wie Hochtief oder dem Modehaus Escada. Gerade die russischen Millionäre trauen dem eigenen Staat kein bisschen und transferieren ihr Geld sicherheitshalber in den Westen, wo sie es wiederum vorzugsweise in Aktien anlegen.
Über noch viel mehr Geldmittel verfügen die asiatischen Tigerstaaten, und auf dem größten Geldhaufen - 1,2 Billionen US-Dollar - sitzt China. Diese von den gewaltigen Exportüberschüssen gespeisten Devisenreserven werden von Staatsfonds verwaltet und angelegt. So üppig sind diese Fonds, dass man in Berlin bereits Pläne macht, wie man ihren drohenden Einstieg in deutsche Schlüsselindustrien wie Telekommunikation oder Banken verhindern kann.
Und noch eine weitere Geldquelle sprudelt immer heftiger und speist den Börsenboom: Kredite. Im letzten Boom nahmen selbst Kleinanleger Kredite auf, um zusätzliches Geld zum Zocken an der Börse zu haben. Sobald die Kurse fielen, war mancher Spekulant ruiniert. Diesmal sind es nicht die Kleinanleger, die mit geliehenem Geld spekulieren, aber Kredite spielen immer noch eine wichtige Rolle. Vor allem Private-Equity-Fonds, also Finanzinvestoren, die in aller Welt Firmen aufkaufen, finanzieren ihre Deals nicht nur mit eigenem Geld, sondern zunehmend auf Pump. Banken stellen die Kredite zu günstigen Bedingungen bereit, um ein bisschen am Übernahmeboom mitzuverdienen.
Das Übernahmefieber wiederum heizt Kurssteigerungen an den Börsen an. Die Nachfrage nach Unternehmensanteilen steigt dadurch. Viele Aktiengesellschaften tragen zudem selbst nach Kräften dazu bei, ihre eigenen Aktienkurse in die Höhe zu treiben, etwa indem sie höhere Dividenden zahlen und so die Nachfrage nach ihren Papieren ankurbeln. Sie hoffen, dass sie kein Übernahmeopfer werden, wenn ihre Aktien nur teuer genug sind.
Doch der Boom auf Pump könnte an seine Grenzen gestoßen sein. Die Probleme mehren sich. Für Private-Equity-Firmen ist es schwerer geworden, noch einigermaßen billige Übernahmekandidaten zu finden, und der gewinnbringende Verkauf bereits übernommener Firmen gestaltet sich immer schwieriger. Banken wiederum sind in letzter Zeit vorsichtiger mit ihrer Kreditvergabe für Unternehmensübernahmen geworden.
Viel beängstigender ist die Situation aber auf einem anderen Kreditmarkt: dem für Immobiliendarlehen in den USA. Immer mehr Hausbesitzer können ihre Schulden nicht mehr abbezahlen. Schon geraten die ersten Hypothekenbanken und Fonds in die Krise, und einige US-Banken warnen vor dem Ende des gesamten Schuldenbooms.
Diese Entwicklung macht vielen Investoren Sorgen. Denn wenn Kredite die Übernahmen anheizen und die Übernahmen wiederum die Aktienkurse beflügeln, dann gilt im Fall der Verknappung von Krediten im Umkehrschluss auch: Die Übernahmefantasien lassen nach, und damit könnten auch die Kurse nachgeben. Die Risikoscheu der Anleger nimmt bereits spürbar zu. Das zeigt sich nicht nur in dem nervösen Auf und Ab der Aktienkurse in den vergangenen Wochen, sondern vor allem in der wachsenden Nachfrage nach festverzinslichen Staatsanleihen. Die sind zwar langweilig und versprechen keine Riesengewinne. Aber sie gelten als sichere Bank.
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