: Geld ohne Wiedergutmachung
■ Koalition versucht mit hastigem Angebot die Wiedergutmachungsdebatte abzuwürgen / Verfolgtenverbände, Grüne und SPD protestieren / Härtefonds statt Stiftung zur Entschädigung von NS–Opfern
Berlin (taz) - Kurz vor der heutigen Innenausschußsitzung haben die Koalitionsparteien hastig einen Kompromiß zur Wiedergutmachungsfrage festgeklopft. Die genaueren Bestimmungen sind noch unter Verschluß. Fest steht allerdings: die Koalition lehnt eine Stiftung zur Entschädigung von NS–Opfern ab. Stattdessen steht eine zweiklassige Abgeltung von Ansprüchen in Aussicht: 50 Millionen Mark für einen Härtefond im Jahre 1988 (insgesamt 300 Millionen werden angeboten). Das dreijährige Spiel mit dem Geld und der Kraft von NS–Opfern scheint damit sein schnelles und unwürdiges Ende zu finden. Mit diesem Vorstoß werden die Ergebnisse der ersten Anhörung der Betroffenen vor dem Bundestag im Juni dieses Jahres vom Tisch gewischt. Die Grünen hatten danach in Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Nachmann, einen Bedarf von 800 Millionen Mark errechnet. Grundlage für die Koalitionsentscheidung ist ein Bericht des Bundesfinanzministers, in dem sämtliche Kritiken von Opfern und Gutachtern in der Anhörung summarisch zurückgewiesen werden. Stattdessen feiert es die Rechtfertiger der bisherigen Wiedergutmachungspraxis, die auf derselben Anhörung vom Juni exemplarisch einbrachen. Der Koalitionskompromiß sei, so der FDP–Abgeordnete Lüder, das Äußerste, was gegenüber dem Bundesfinanzministerium herauszuholen war. „Es gibt Mauern“, sagte Lüder gegenüber der taz, allerdings die Namen der Mauern wolle er lieber verschweigen. Inzwischen scheint es aber klar zu sein, daß insbesondere der Bundesfinanzminister Stoltenberg persönlich sich gegen eine Revision der Wiedergutmachung engagiert. Die Koalitionsparteien beschränken sich auf die Opfergruppen der Sinti und Roma, der Zwangssterilisierten und Euthanasiegeschädigten. Die anderen Opfergruppen seien mit „u.a.“ gemeint, wird versichert. Ansonsten wird die Aufhebung der Schlußfristen des Allgemeinen Kriegsfolgenrechtes den NS– Opfern angeboten: ein fast zynisches Angebot. Denn: Entschädigung nach dem AKG sei eine „Entschädigung zweiter Klasse“ (Dr. Dux, Wiedergutmachungsrichter). Die SPD bezeichnet diesen Vorschlag als generell „vage“ und „nicht ausreichend“. Antje Vollmer zitiert einen Zeugen der Anhörung: „Was wir brauchen, ist Ehre und Brot; dieser Vorschlag gibt nicht die Ehre wieder und nur Brotkrümel.“ Die Verfolgtenverbände erklären, daß sie auf eine Revision der Wiedergutmachungsgesetzgebung und -praxis nicht verzichten werden und fordern für die Bundestagsdebatte im Dezember die Aufhebung des Fraktionszwanges. Klaus Hartung
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