piwik no script img

Archiv-Artikel

Geist der Finsternis

Der Schriftsteller und Journalist Denis Johnson reist an die kaputten Orte der Welt. Seine Berichte stellen nicht nur die Schrecken von Bürgerkriegen dar, sondern auch das eigene Tun in Frage

VON RENÉE ZUCKER

Und wenn es nur für die letzte der drei Geschichten gewesen wäre – der Kauf des Buches hätte sich gelohnt. Drei Geschichten aus Afrika. Liberia, Somalia, und wieder Liberia. Jedes Mal wurde der seinerzeit mäßig bekannte Autor Denis Johnson, ehemals ein Junkie und Obdachloser, von amerikanischen Magazinen dort hingeschickt. Keine Ausflüge an nette Strände, sondern Reisen an dunkle Orte, wo Bürgerkriege herrschen, deren Regeln sich uns wenig bis gar nicht erschließen.

So läuft das hier in Afrika, was getan wird, ist das Ergebnis von Überlegungen, die mit Logik und Zweckmäßigkeit nicht das Geringste zu tun haben. Wo Logik und Zweckmäßigkeit in Ungnade fallen, breitet sich die mystische Autorität subtilerer Interessen aus wie berauschender Weihrauch, und alles wird aus Gründen getan, die niemand versteht“, heißt es bei Johnson, und auch wenn der deutsche Schriftsteller Georg M. Oswald in seinem exzellenten Vorwort schreibt, dass dies ein typisch westlicher, weil verallgemeinernder Blick sei, so weitet er selbst Johnsons Urteil doch als passend für die ganze Welt aus. Sie sei doch auch eine Massenhalluzination der Menschheit, zwar wackelnd und bröckelnd, aber noch beständig. Man wolle partout weiterhin dran glauben, dass irgendwann alles in Ordnung sei und es keine Kriege mehr gebe.

Im Fall von Liberia wissen vermutlich die wenigsten, wo es überhaupt liegt, und wenn nicht vor ein paar Monaten wie aus dem Nichts in deutschen Nachrichten über die Verhaftung von Charles Taylor berichtet worden wäre, wüssten wir wohl kaum von der Existenz des Drei-Millionen-Einwohner-Staates an der afrikanischen Westküste.

1821 gründete die American Colonization Society die, wie es im Brockhaus von 1971 noch heißt, „Negerrepublik Liberia“ mit rückgeführten amerikanischen Sklaven. Wie es der Amerikaner Art entspricht, setzten sie den dort ansässigen Stämmen ungefragt 50.000 „Amerikoliberianer“ vor die Nase und schenkten ihnen die amerikanische Verfassung.

Diese erlaubte vielleicht auch, dass Anfang des 20. Jahrhunderts den US- Firmen Firestone und Goodrich die dortigen Gummibaumplantagen auf 99 Jahre überlassen wurden und dass ab den 40er-Jahren die USA den Liberianern die Arbeit in den Erz- und Diamantenminen abnahmen. Natürlich nicht die körperliche Arbeit, nur die der Gewinnorganisation. Die weitere Geschichte des Landes besteht hauptsächlich darin, dass das Land ausgebeutet und die jeweiligen Präsidenten von ihren Nachfolgern umgebracht wurden.

Johnsons erster Essay „Bürgerkrieg in der Hölle“ wurde 1990 wie eine normal nüchterne Reportage über eine Pressekonferenz geschrieben. Allerdings eine in Liberia, bei der ein Rebellenführer und Widersacher von Charles Taylor ein Video vorführt, wie er den damaligen Präsidenten foltert. Offenbar waren mehrere Journalisten bei dieser Vorführung anwesend, aber die Welt interessierte sich nicht im mindesten für ihre gruselige Story aus Afrika.

In „Ein Anarchistenführer durch Somalia“ trifft Johnson 1993 den Offizier eines Warlords, der für die Ermordung von 23 pakistanischen UN-Soldaten verantwortlich war. 13 Jahre zuvor hatte der israelische Mossad den Offizier in terroristischer Taktik ausgebildet. Nun hilft er dem US-Autor, der sich als deutscher Brunnenbauer ausgibt, weil Deutsche im Gegensatz zu Amerikanern beliebt sind.

Wie wenig wir wissen, wie wenig wir gewappnet wären und wie wenig überlebensfähig in solchen Situationen, wird vor allem in der letzten Geschichte „Die Kindergarde“ klar, die wahnsinnig komisch beginnt – nämlich mit der harmlosen Beschreibung aller mehr oder weniger vergeblichen Versuche, einen Termin mit dem Gangster Charles Taylor zu bekommen, der damals, 1993, noch vier Jahre vor seiner Wahl zum Präsidenten von Liberia stand.

Und dann beschreibt Johnson, ohne es jemals auszusprechen, die Konfrontation des westlichen Reisenden mit der Dritten Welt. Die Korruption, die Willkür, die eigene Ungeduld, das Un- und das Missverständnis, die Überheblichkeiten auf beiden Seiten, die eigene Resignation, die Hilflosigkeit und die Verblödung. Unmerklich wird hier auch das unverzeihliche Nichtbegreifen des weißen Eindringlings immer deutlicher, und Johnson geht mit sich so kühl wie gnadenlos ins Gericht.

Und das ist wohl das Besondere und besonders Verstörende an dieser Erzählung, weil die Hölle, oder „der Abgrund der Welt“, wie es auf dem Buchcover heißt, nicht ausschließlich auf dem sogenannten schwarzen Kontinent zu finden ist. Schon ein leichter Blick ins eigene Innenleben genügt, um sich darüber klar zu sein, dass das Böse eben nicht das Andere ist. Und auch das Andere ist nicht unbedingt das Böse. Das Böse ist in der Gleichgültigkeit, in der Feigheit, und vor allem in der Dummheit.

In einer Welt, die immer unübersichtlicher zu werden scheint, je mehr wir über sie erfahren, gehört Denis Johnsons Buch zu den wichtigsten Neuerscheinungen in diesem Jahr. Es wirft den Leser mit dem Erzähler und seinen Protagonisten in den Abgrund. Und wäre da nicht Oswalds kluges und bedächtiges Vorwort – man fände kaum wieder heraus.

Denis Johnson: „In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Welt“. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell, Tropen Verlag, Berlin 2006, 192 Seiten, 18,80 Euro