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Archiv-Artikel

Geiersturzflug auf Eimsbüttel

Nach dem Wegfall der Umwandlungsverordnung greifen Spekulanten wieder begierig nach begehrten Altbaubeständen. 70.000 Mieter verloren langfristigen Bleibe-Schutz. Eimsbüttler Generalsviertel besonders im Visier

Von Marco Carini

Hamburgs Mietervereine schlagen Alarm. „Die Spekulation ist wieder voll entbrannt“, berichtet Silvia Sonnemann von „Mietern helfen Mietern“. Die neue Situation sei „schrecklich und verunsichernd“ für die Mieter, ergänzt ihr Kollege Willi Lehmpfuhl vom „Mieterverein zu Hamburg“.

Der Anlass für die dramatischen Worte der MieterberaterInnen: Seit der Senat die so genannte Umwandlungsverordnung samt der sozialen Erhaltungssatzungen (siehe Kasten) zum Jahresbeginn kippte, tummeln sich in Hamburgs beliebtesten Altbauvierteln die Spekulanten. Mieter sollen verdrängt, ihre Wohnungen als Eigentum weiterverscherbelt werden. Besonders betroffen ist dabei das bislang geschützte Quartier Eimsbüttel Nord/Hoheluft West mit rund 28.000 Wohnungen.

Rückblende: Weil seit Mitte der achtziger Jahre citynahe Altbauquartiere zunehmend ins Visier von Geschäftemachern gerieten, die Mietwohnungen in großem Stil in Eigentum umwandelten, erließen die Behörden 1995 zunächst für drei stark betroffene Stadtteile soziale Erhaltungssatzungen, 1998 dann eine Umwandlungsverordnung zum Schutz der Mieter. Neben den rechtlichen Hürden hatte die Verordnung vor allem „eine psychologische Sperrwirkung für Spekulanten“, sagt Mieterberater Lehmpfuhl: „Es gab einen faktischen Verkaufsstopp.“

Doch da der Mieterschutz das freie Spiel der Kräfte – sprich die Interessen der Grundeigentümer – behinderte, kassierte der CDU-geführte Senat die Regelungen zum Jahresende in Eimsbüttel-Hoheluft und Barmbek-Süd/Uhlenhorst wieder ein. Seitdem läuft die Umwandlungsmaschinerie auf Hochtouren. „Die Spekulanten stürzen sich wie die Geier auf die Gebiete“, klagt Silvia Sonnemann.

Beispiel Tegethoffstraße 5: Hier bekamen die zehn Mietparteien Ende März ein Schreiben des Hausverwalters, in dem ihnen angedroht wurde, dass ihre Wohnungen zum Stückpreis von rund 130.000 Euro verkauft werden sollen. Nur eine „kurzfristige Zusage“ der Mieter, „die Wohnung selbst zu kaufen“, könne das noch verhindern, wurde den Bewohnern die Pistole auf die Brust gesetzt. Erster Erfolg des Ultimatums: Die Mietergemeinschaft ist gespalten; während die eine Hälfte kaufen will, um langfristig ihre Wohnung zu halten, will sich die andere Hälfte der Hausbewohner gegen die Umwandlung wehren.

Nur ein paar hundert Meter weiter, in der Mansteinstraße 16, findet dasselbe Spiel statt. Auch hier wurden die elf Mietparteien des 100 Jahre alten Hauses im März vom Grundstücksverwalter informiert, er sei vom „Eigentümer mit dem Verkauf“ der Wohnungen „beauftragt“ worden. Rund 215.000 Euro sollen die Mieter berappen, um externen Interessenten an ihren rund 100 Quadratmeter großen Wohnungen noch zuvorzukommen. Keine Einzelfälle: „Wer ins Abendblatt schaut oder die Makler-Angebote vor den Häusern sieht, merkt, dass im ganzen Generalsviertel rund um die Bismarckstraße der Ausverkauf läuft“, sagt ein Mansteinstraßen-Mieter.

Zwar haben die betroffenen Mieter nach der Umwandlung noch einen zehnjährigen Kündigungsschutz, doch der reicht nicht aus. „Wir machen die Erfahrung, dass in Umwandlungsobjekten schon nach wenigen Jahren keiner der ehemaligen Mieter mehr wohnt“, berichtet Silvia Sonnemann. Mal üben die neuen Eigentümer Druck auf ihre Mieter aus, mal locken sie mit Abfindungen bei Auszug. Für viele Mieter, die kurz vor der Rente stehen, sei es zudem „eine unerträgliche Vorstellung, im Alter nach Ablauf der Zehnjahresfrist noch einmal umziehen zu müssen“, weiß Sonnemann.