der stadtentwicklungsplan verkehr (teil 6) : Gehen bewegt die Stadt
Die sehr zu begrüßende Förderung des Radverkehrs darf nichtzu Lasten der Fußgänger gehen
Mit dem Stadtentwicklungsplan Verkehr (StEP) beginne ein „neues Verkehrszeitalter“, kündigte der Senat vollmundig vor einem Jahr an. Auf das Jahrzehnt der Restauration der Verkehrsinfrastruktur soll jetzt ein Jahrzehnt der „intelligenten Nutzung“ folgen. Experten, Planer und Kritiker diskutieren an dieser Stelle, immer freitags, über die Zukunft der Berliner Verkehrspolitik.
Gehende Menschen in einer Stadt erhöhen die Sicherheit und machen Quartiere wohnlicher. Zugleich stützt der Fußverkehr die Herausbildung von städtischen Angeboten und stabilisiert den Einzelhandel sowie das lokale Gewerbe. Es lohnt sich also, den FußgängerInnen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Denn das Gehen ist die umweltschonendste, energie- und raumsparendste und auch gesündeste Form der Fortbewegung.
Im Verbund mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln bietet der Fußverkehr die Grundlage für die notwendige Mobilität der Zukunft. Außerdem kann eine Kommune, die das Gehen sicherer und attraktiver macht, ihren Haushalt dauerhaft entlasten.
Doch bundesweit – wie auch in Berlin – nimmt der Anteil der Fußwege am gesamten Verkehrsgeschehen in den letzten Jahrzehnten langsam ab. Mit heute knapp unter 25 Prozent ist dies im Vergleich zu anderen Großstädten noch ein guter Wert, der unbedingt gehalten werden sollte. Berlin mit seiner polyzentralen Struktur und einer nicht sehr ausgeprägten Funktionstrennung hat zumindest gute städtebauliche Voraussetzungen dafür. Doch der Trend geht eindeutig in die andere Richtung, wenngleich in den letzten fünf Jahren – historisch einmalig – bundesweit die Fahrleistungen im Pkw-Verkehr jedes Jahr zurückgegangen sind.
Erstmalig nun thematisiert ein Verkehrsentwicklungsplan, nämlich der Berliner StEP Verkehr, Ziele für den Fußverkehr und listet Maßnahmen zur Förderung der Zu-Fuß-Gehenden auf. Das ist positiv, gleichzeitig hat der StEP in dieser Hinsicht jedoch Schwächen: Anders als für den Bereich Radverkehr sind die konkret genannten Möglichkeiten, den Fußverkehr zu fördern, nicht systematisch in alle Handlungsfelder eingefügt worden. Zusätzliche Querungshilfen und die Vergrößerung der Fußgängerflächen sind wichtige Maßnahmen für die Verkehrssicherheit und eine bessere Aufenthaltsqualität, doch müssen zum Beispiel auch Öffentlichkeitsstrategien entwickelt werden, um den Nutzen des Fußverkehrs für eine urbane Stadt deutlich zu machen. Nach dem „FahrRat“, einem runden Tisch für den Radverkehr, braucht es nun auch einen Ratschlag „Fuß im Kopf – StEP by StEP“, um das ehrgeizige Ziel der Stabilisierung des Fußverkehrs zu erreichen.
London ist uns da viele Schritte voraus: „Walk this way“, heißt dort ein Programm. Damit wurde beschlossen, 100(!) öffentliche Plätze fußgängerfreundlich umzubauen. Die Gefährdungen und Benachteiligungen der Flaneure und Alltagstrotter durch schlechte Ampelschaltungen, zu schmale Gehwege, verlärmte Plätze oder Radler auf ihrem Bürgersteig sind in weiten Bereichen Berlins vorhanden. So bleibt zum Beispiel an vielen Stellen beim geplanten Ausbau des vierspurigen Innenstadtrings mit Straßenbahn entlang der Invalidenstraße nur noch ein schmaler Gehweg als Restgröße übrig – vor dem Bundesverkehrsministeriums reicht der Straßenausbau gar bis an den Zaun heran, sodass ein Gehweg durch den Vorgarten von Minister Stolpe verlaufen müsste.
Leider liegt die Unterstützung einer Mobilität, die es schafft, die Urbanität zu erhalten – wie zum Beispiel mit dem Zebrastreifenprogramm –, erst in den Anfängen. Hier muss die Politik insbesondere angesichts des wachsenden Anteils der nichtmotorisierten Opfer unter den Verkehrstoten, die mittlerweile rund 70 Prozent ausmachen, systematisch, mit mehr Elan und Fantasie handeln. Die sehr zu begrüßende Förderung des Radverkehrs darf nicht zu Lasten der Fußgänger gehen, was beispielsweise mit einer zu lockeren Freigabe von Wegen in Grünanlagen für die Radler zu befürchten ist.
Spaziergänger mit Kindern und Hunden sind eben nicht nur reine Verkehrsteilnehmer, die auf dem Weg von A nach B sind, sondern Erholungs- und Ruhesuchende, Erzählende, Träumende oder Spielende, die von dem sonst im Straßenverkehr üblichen Zwang befreit sein müssen, ständig auf andere Verkehrsteilnehmende zu achten. In diesem Sinne erwarten wir viel von dem speziellen Fuß- und Radwegenetz – verbunden durch viele Parks und Grünflächen, genannt „20 grüne Hauptwege“.
Hier sehen wir einen wichtigen Baustein zur Kombination von Alltags- und Freizeitwegen sowie ein Mittel gegen weitere Stadtflucht. An der Frage, ob die grünen Wege an Straßenquerungen zumindest gleichberechtigt behandelt werden, wird sich auch entscheiden, ob das grüne Wegenetz Vorzeigemodell für eine fußgängerfreundliche Stadt wird und dem Autoverkehr Grenzen aufzeigt. Wenn die Zielstellung „sichere und angenehme Mobilität für alle“ lautet, dann geht dies eben nicht mit einer prominenten Rolle des Autos.
KARL-HEINZ LUDEWIG
Der Autor ist Sprecher der Landesgruppe Berlin von FUSS e. V., Fachverband Fußverkehr Deutschland. Nächsten Freitag lesen Sie: ÖPNV unter Druck.