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Archiv-Artikel

Geheime Geschichte

Die Literatur muss bei denen bleiben, die unten sind: Franz Doblers Feuilletons „Sterne und Straßen“

Franz Dobler ist kein Pfundskerl. Kein Popliterat. Auch kein Trinker, der vom Trinken reden muss. Dobler trinkt Bier, das ist’s. Er weiß um die Asphaltliteratur, doch schreibt er keine. Dobler verwechselt sich nicht mit einem Bukowski, denn er hat verstanden, dass man mit einer Krankenversicherung vor Erlebnissen geschützt ist, über die sich zwar interessant lesen lässt, die man jedoch nicht am eigenen Leib erfahren will. Von allen Kennern Kerouacs, Freunden Jörg Fausers, Lesern der Valerie Solanas oder Fans der großen June Carter ist er einer der wenigen, die wissen, dass man das, was man schätzt, nicht imitieren soll.

Daher ist Franz Dobler ein Mann des Schreibtisches. Er schreibt Texte, die man früher, in einer nicht eben besseren Welt, Feuilletons genannt hat, Texte über Gehörtes und Erlesenes. Er schreibt keine Kritiken, die sich in der Besserwisserei erschöpfen, keine witzigen Betrachtungen, auch nicht über Obskurantes. Weder ist er ein Autor, der seinem Publikum geschmeidige Kaufempfehlungen darbietet, noch einer, der hilft, die eigene Verbiestertheit für Weltflucht zu halten. Dobler nähert sich schreibend dem an, was Greil Marcus treffend die „secret history“ genannt hat. Zusammenhänge, die nicht auf der Hand liegen, die aber, sieht man sie einmal, zwingend erscheinen.

Soeben ist – nach einem Roman, mehreren Erzählbänden, einer kenntnisreichen Johnny-Cash-Biographie und „Westerngedichten“ – ein Band mit Feuilletons erschienen, die den Namen verdienen. Sie beweisen, dass Doblers Begriff von Literatur dem Diktum Fausers entspricht: „Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich als Partyservice anheuern.“ Also schreibt Dobler über Bankräuber und Drogenkranke, Irrsinnige und Irremachende, schreibt er gegen den Media-Markt, Kulturverteidiger, Innenminister und dumpfe Fußballfans an. Allerdings nicht höhnend, sondern mit dem ungepflegten, weil ehrlichen Ekel dessen, der guten Geschmack hat, und ihn nicht nur billig vor sich her trägt. Das liest sich, etwa wenn er über die Münchener Fußball-Lokalderbys schreibt, so: „Nach so vielen Jahren darf ich gestehen, ich war schwul. Zumindest nach altem und bayerischem Maßstab. Schwul ist ein Mann, der sich für Frauen mehr als für Fußball interessiert.“

Oder so: „Nachdem Valerie Solanas am Rande seiner Factory angekommen war und er sie nicht mehr für eine Polizei-Provokateurin hielt, gab er ihr einen Auftritt in seinem Film ‚I, A Man‘. Sie bekam dafür 25 Dollar, spielte sich ganz einfach selbst, und die Frage ist nun, warum sie nicht durchschaut haben sollte, dass Warhol für seine Akteure zwar den Begriff Superstar etablierte, dass das aber nur ein Dreh für die Medien war, während sie, Valerie, keine Kohle hatte und kein Superstar war, und dass sie alle dazu beitrugen, das Markenzeichen Andy Warhol bekannter und teurer zu machen. Beliebte Probleme im Schatten von Giganten.“ Dobler versteht, warum Solanas auf Warhol schoss, ohne herablassendes Mitleid. Er macht Warhol nicht schlecht, um Solanas zu loben. Er liebt Fußball, aber nicht alles daran. Er liebt die Literatur. Er ist bei denen, die unten sind.

JÖRG SUNDERMEIER

Franz Dobler: „Sterne und Straßen“. Edition Tiamat, 2004, 128 S., 12 €