Gefühlte Kriminalität: Messer und Anti-Helden
Gibt es mehr Messer, mehr Dummheit oder zu viel Berichterstattung? Die Kolumnistin zweifelt an der Sicherheit ihrer Erziehungsmethoden.
A m Wochenende war ich in einer Bar, vor der es plötzlich eine Rangelei gab. Ein paar Betrunkene auf der Suche nach Streit pöbelten herum, ein paar auch nicht mehr Nüchterne pöbelten zurück, am Ende blieb es wohl bei einem geschwollenen Kiefer und einer zerbrochenen Brille.
Für Aufregung sorgte allerdings, dass einem der Unruhestifter offensichtlich ein Messer aus der Tasche gefallen war, jemand kassierte es geistesgegenwärtig ein und schaffte es beiseite, der Idiot zog ohne weiter und merkte das nicht einmal.
Daraufhin entspann sich eine Diskussion darüber, ob das denn nun wirklich alles immer schlimmer würde oder ob sich das nur so anfühlt. Und ob es nun eigentlich die Pandemie oder die Hitze war, die dafür gesorgt hat, dass bei so vielen Leuten die Zündschnur anscheinend noch ein Stück kürzer ist.
Es scheint neuerdings zum Sommer zu gehören, dass sich zu einem bestimmten Zeitpunkt solche Meldungen häufen – dieses Jahr im Mai, letztes Jahr im Juni – und dann tagelang von einer wachsenden Zahl von Messerangriffen die Rede ist. Wobei die Polizei diese in ihrer Statistik erst seit 2019 so richtig einzeln ausweist, weshalb man immer noch nicht so richtig feststellen kann, ob der Anstieg ein gefühlter oder tatsächlicher ist.
Medialer Verstärkereffekt
Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) wird ja nicht müde zu betonen, dass es dabei einen medialen Verstärkereffekt gibt: Je mehr von Messerangriffen die Rede ist, desto mehr Menschen stecken „sicherheitshalber“ eines ein. Aber nicht berichten geht ja auch nicht.
Wenn man genauer hinsieht, gibt es ja auch ein paar beruhigende Fakten in dieser Statistik: Rund 60 Prozent der registrierten Messerangriffe bestehen beispielsweise daraus, dass irgendjemand (häufig alkoholisiert oder sonstwie berauscht) mit einem Messer in der Gegend herumfuchtelt und sonst nix passiert.
Wenn doch was passiert, sind sowohl Opfer als auch Täter meist junge Männer, die sich kennen und in irgendwelche dämlichen Streitigkeiten verwickelt sind. Wenn Sie also älter als 40 und/oder weiblich sind, können Sie sich im Grunde beruhigt zurücklehnen: Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie in eine messerschwingende Auseinandersetzung verwickelt werden, ist eher gering.
Mich tröstet das allerdings wenig, immerhin ziehe ich Söhne groß. Die werden natürlich gewaltfrei erzogen und sind absolut in der Lage, sich verbal mit allem und jedem auseinanderzusetzen, aber seien wir ehrlich: Vor blöden Freunden oder dem Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, schützt das wenig.
Das ist mein beständigster Alptraum: Erst ziehst du sie mühsam groß und dann wickeln sie sich mit 18 bei einem bescheuerten Unfall um den nächsten Baum oder lassen sich irgendwo die Köpfe einhauen. Ich habe etliche meiner dümmsten Entscheidungen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren getroffen, zum Glück war keine davon tödlich.
„Die überblicken das halt oft wirklich nicht“, hörte ich einmal eine Jugendrichterin sagen, „die stochern da so in der Gegend herum und begreifen zu spät, welche Folgen das hat. Das der echt nicht wieder aufsteht. Das das kein Scheiß-Videospiel ist.“ Das war ihre Begründung dafür, warum auch bei Anfang Zwanzigjährigen das Jugendstrafrecht angebracht sein kann.
Natürlich halte ich meine Söhne nicht für so dämlich. Aber ich würde auch nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass sie nicht vielleicht irgendwann im falschen Moment eine zu große Fresse haben.
Immerhin wachsen sie mit diesem ganzen Superhelden-Quatsch auf, der auf bizarre Weise ein antiquiertes Bild von Männlichkeit und Ritterlichkeit transportiert. Ich wünschte wirklich, es gäbe mal einen, dessen Superkraft es wäre, Ärger zu riechen und einen Bogen darum zu machen, aber Marvel und DC sind wohl zu sehr mit ihren Diversitätsoffensiven beschäftigt.
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