: Gefühle nach außen stülpen
Ihre Tänzer wirken, als könnten sie fliegen oder seien abstrakten Gemälden entsprungen: Die US-amerikanische Martha Graham Company gastiert in der Hamburgischen Staatsoper
von PETRA SCHELLEN
Ihre Tänzer bewegen sich, als könnten sie fliegen, im akkuraten Winkel, einer scharf abgezirkelten Diagonalen folgend. Das traditionelle Formenrepertoire des Balletts zählt nichts im Werk der US-amerikanischen Tänzerin, Choreographin und Tanzpädagogin Martha Graham (1894–1991), die bis ins hohe Alter tanzte und als wichtigste Neuerin des Modern Dance gilt.
Techniken des klassischen Balletts hatte sie zunächst erlernt, doch bald genügte ihr das nicht mehr. „Der Tanz ist die innerste Sprache der Seele“, hat sie einmal gesagt, und diese Sentenz trifft gut, was ihr Schaffen prägte: der Glaube daran, dass starke Emotionen im Tanz ausdrückbar seien, und dass es keine formalen Fesseln geben müsse.
Inspirator solcher Überzeugung mag auch ihr Vater gewesen sein, ein Nervenarzt, der sich intensiv mit dem Zusammenspiel von Körper und Seele befasste und überzeugt war, dass der Körper innerste Regungen ausdrücken könne. Was Martha Graham selbst in die Praxis umsetzte: In „Xochital“ präsentierte sie 1923 den hoch emotionalen Tanz eines verletzten Aztekenmädchens. 1955 hatte eins ihrer berühmtesten Stücke, „Seraphic Dialogues“ über die Zerrissenheit Jeanne d‘Arcs Premiere.
1926 bereits hatte Martha Graham ihre gleichnamige Compagnie gegründet, die sich gleichermaßen von moderner Malerei wie von religiösen Zeremonien indianischer Ureinwohner inspirieren ließ – und vor allem: von dem stetig frischen Versuch, Empfindung unmittelbar in Bewegung zu übersetzen.
200 Choreographien hat Martha Graham hinterlassen, und ihr Einfluss auf den modernen Tanz ist mit dem Picassos auf die Malerei und dem Strawinskys auf die Musik verglichen worden.
Auf dezente Art politisch revolutionär war sie außerdem: Martha Graham war die ersten Choreographin, die regelmäßig mit asiatischen und afrikanischen Tänzern gearbeitet hat.