Gefilmter Tod im Iran: Regierung nennt Neda-Video gefälscht
Im Internet wurde sie weltweit zur Ikone des iranischen Widerstands - nun behauptet das iranische Staatsfernsehen, das Video über den Tod der 27-jährigen Neda sei gefälscht.
BERLIN taz/ap/afp/dpa | Der Verlobte der Iranerin Neda Agha-Soltan, die laut einem im Internet kursierenden Video bei den Protesten in Teheran gewaltsam ums Leben kam, sieht die Verantwortung für ihren Tod bei der islamischen Bassidsch-Miliz. Aus Videos von dem Vorfall und Berichten von Augenzeugen gehe klar hervor, "dass wahrscheinlich Paramilitärs der Bassidsch in Zivilkleidung absichtlich auf sie zielten", sagte Caspian Makan, der nach eigenen Angaben mit der verstorbenen Neda verlobt war, am Dienstag. Seine Freundin sei in die Brust getroffen worden und binnen weniger Minuten gestorben, so der 37-jährige Fotograf.
Laut Makan nahm Neda nicht an einer Demonstration teil. Vielmehr habe sie sich in der Nähe der Proteste nur kurz die Beine vertreten wollen, weil sie mit ihrem Musiklehrer im Stau gesteckt habe und und ihr heiß gewesen sei. Der weißhaarige Mann, der ihr verzweifelt zu helfen versucht und sie beschwört "Hab keine Angst, Neda, meine Liebe, hab keine Angst!", ist Makan zufolge nicht ihr Vater, sondern ihr Musiklehrer.
Makan kritisierte, dass die Behörden Nedas Leiche erst nach hartnäckigen Bitten freigegeben hätten. Die Familie habe Neda auf dem Behescht-e-Sahra-Friedhof im Süden Teherans bestattet, eine Trauerfeier in einer Moschee hätten die Behörden aus Angst vor "unerwünschter Aufmerksamkeit" aber nicht erlaubt.
Zudem bezeichnete das iranische Staatsfernsehen über den Sender Khabar das Video, in dem die sterbende Neda zu sehen ist, als gefälscht. Es sei offensichtlich, dass diejenigen, die die Aufnahmen machten, auf etwas gewartet hätten und das Ganze dann aus mehreren Winkeln gefilmt hätten.
Nun ist die iranische Staatsmacht, die die freie Berichterstattung systematisch unterdrückt, selbst auch keine sehr glaubwürdige Quelle. Entsprechend vorsichtig muss man solche Berichte des Staatsfernsehens sehen.
Im selben Beitrag wurde auch Makans Identität angezweifelt. Weitere Beweise für den Fälschungsvorwurf lieferte der Sender nicht. Auch in Medienberichten im Ausland war immer darauf hingewiesen worden, dass es keinen Beweis für die Echtheit des Videos gebe, doch hatten Experten die Meinung vertreten, das Video sei authentisch.
Inzwischen hat Neda auch zwei eigene (englische) Wikipedia-Einträge hier und hier, wo bereits berichtet wird, dass Neda als mittleres Kind und einzige Tochter einer iranischen Mittelschichtsfamilie 1982 in Teheran geboren wurde. Sie studierte dem Eintrag zufolge islamische Philosophie und arbeitete für ein Reiseunternehmen. Außerdem nahm sie Türkisch- und Gesangsunterricht. Bei einer Reise in die Türkei soll sie Makan kennengelernt haben.
Den Artikeln, dem auch bislang unbekannte Fotos beigefügt sind, wird kontinuierlich überarbeitet und mit neuesten Berichten in der internationalen Presse über die Umstände von Nedas Tod und ihrem Symbolwert für die Protestbewegung aktualisiert.
Obwohl die meisten biografischen Hinweise auf Zeitungsartikeln unter anderm der LA Times und der britischen The Times beruhen, ist inzwischen eine Diskussion auf Wikipedia ausgelöst worden, ob die Beiträge gelöscht werden sollten.
Tatsächlich kursierten im Internet zunächst ganz andere Versionen von dem Vorfall: So hatten die User, die als erstes das Video online stellten, behauptet, dass Neda erst 16 Jahre alt sei. Dass der weißhaarige Mann, der sich über sie beugte ihr Vater sei – und dass der tödliche Schuss von einem Hausdach gekommen sei. Dass es zudem ein gezielter Schuss gewesen sei.
Etwas später kam von einem Blogger aus Kanada, der erklärte, Kontakte zur Familie zu haben, die Version, nachdem der Weißhaarige ihr Lehrer war. Der Schuss kam dieser Quelle zufolge von einem Motorradfahrer der Bassidsch-Miliz.
Später dann kam die Darstellung ihres Verlobten, die auf BBC auftauchte, der von in zivil-gekleideten Miliziären sprach, die auf Neda Agha-Soltan gezielt haben sollen. Von welchem Ort, davon ist nicht mehr die Rede.
So ein Wandel in der Darstellung stützt natürlich nicht unbedingt die Glaubwürdigkeit des Videos, ist andererseits aber auch durch die Art der Ereignisse und die aktuelle Situation in Teheran erklärlich. Seit etwa einer Woche werden die Demonstranten massiv von den islamischen Bassidsch-Miliz, die der iranischen Revolutionsgarde untersteht, angegriffen und schikaniert.
Das fängt an mit Schlägereien, willkürlichen Festnahmen geht über Angriffe auf Studentenwohnheime, bei denen nach glaubwürdigen Angaben der Oppositionsbewegung bereits mehrere Menschen gestorben sind. Auch von Schüssen auf Protestierende wird immer wieder berichtet. In einigen Fällen auch mit Todesfolge.
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