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Archiv-Artikel

Gefangene dieser Orte

VIDEOLOOPS Am Ende beginnt die Arbeit wieder von vorn: Die Filme von Julian Rosefeldts erinnern an absurdes Theater in unglaublichen Architekturen. Die Berlinische Galerie zeigt „Shift“ und frühe Fotoarbeiten

Auf dem Foto vom Partykeller: „Hitler’s private bunker“. Kein Raum ist unschuldig

VON TIM ACKERMANN

Hausmeister und Nachtwächter sind wie moderne Goldfische: Sie drehen ihre Runden. Das Leben dieser bezahlten Raumbewacher ist so wenig abwechslungsreich, dass ihre Tapferkeit, mit der sie die Routine ertragen, schon etwas Heroisches hat. Sie sind Helden des Niedriglohnsektors. Der Künstler Julian Rosefeldt hat diesen Helden ein kleines Denkmal gesetzt.

Rosefeldts Film „The Shift“ (2008), der am Anfang seiner Ausstellung in der Berlinischen Galerie zu sehen ist, lässt den Betrachter auf vier Leinwänden zunächst in typische Schaltzentralen des modernen Lebens blicken: ein Kontrollraum, ein Empfangstresen, ein Büro mit Überwachungsmonitor und eine futuristische Zelle. Die Kamera gleitet langsam über diese Architekturen der Macht, registriert Spuren menschlichen Daseins: eine rauchende Zigarette im Aschenbecher, ein angebissenes Wurstbrot. Dann tauchen die Kontrollapparatbewacher auf. Vier einsame Gestalten mit schütterem Haar, Bierbauch und Schnäutzer, die in allen vier Filmen von ein und demselben Schauspieler gespielt werden.

Die Wächter erkunden ihre Arbeitsplätze. Dann ertönt eine Sirene, die Männer wechseln in eine Arbeitskluft, die zuvor ein anderer Schicksalsgenosse trug, und der Schichtbetrieb beginnt mit neu verteilten Rollen: Flure werden durchlaufen, Luken geöffnet, Leuchten abgelesen, Sitze umgeklappt. Die Tätigkeiten der Arbeiter führen nirgendwo hin. Eher sind sie Gefangene dieser Orte. Am Ende von „Shift“ schließt sich der Loop, der stupide Arbeitstag beginnt erneut.

Rosefeldt hat seiner Berliner Ausstellung ein Zitat des russischen Filmregisseurs Andrei Tarkowski vorangestellt: „Der Mensch, der seine Erinnerung, sein Gedächtnis verloren hat, ist in einer illusorischen Existenz gefangen.“ In „Shift“ wirken die Wächter tatsächlich wie Goldfische im Glas, deren gesammelte Erfahrungen am Ende der Runde im Nichts verpuffen. Das ist typisch für Rosefeldt, der seine Arbeiten meist auf Filmmaterial, also mit großem Aufwand, dreht. Der Loop scheint eines der bevorzugten Stilmittel des 44-Jährigen zu sein: Die Filmfiguren sind nicht nur oft zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie sind auch noch gezwungen, ihren Fehler endlos zu wiederholen.

Es gehe in seinen Werken um die Angst vor dem Scheitern als Motor menschlicher Handlungen, sagt Rosefeldt. Oft wirken seine Filme wie absurde Theaterstücke: In „Clown“ (2005) sah man einen dummen August durch einen Regenwald stapfen. „Stunnend Man“ (2004) war eine Geschichte über einen Büroangestellten, der nach Feierabend in einem unerklärlichen Anflug von Hysterie die eigene Wohnung verwüstet. „Asylum“ (2001/02) wiederum zeigte verloren wirkende Arbeitsmigranten, die in einer künstlichen Kakteenlandschaft staubsaugen oder Rosen in einer ehemaligen Badeanstalt wässern.

Häufig implizieren die Filme eine nicht ausdrücklich formulierte, aber doch latent spürbare politische Kritik – schon weil Kunst nach Auffassung Rosefeldts gar nicht anders als politisch sein kann. In „American Night“ von 2009 führte der Künstler die martialische Rhetorik von George W. Bush und Waffenlobbyist Charlton Heston als Puppentheater in einer Westernkulisse vor.

Das letzte Beispiel wirft auch die Frage auf, ob der Mensch den umgebenden Raum beeinflusst oder doch eher der Raum den Menschen. Rosefeldt hat vor seinem Quereinstieg als Künstler ein Architekturstudium abgeschlossen. Die Frage ist ihm also sehr vertraut. Die berufliche Vorgeschichte schimmert nicht nur in den elaborierten Filmsets des Berliner Künstlers immer wieder durch. Er hat sich auch in seinen frühen Kunstwerken explizit mit dem Verhältnis von Architektur und Gesellschaft beschäftigt.

Es geht um die Angst vor dem Scheitern als Motor menschlicher Handlungen

Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie, die er als diesjähriger Träger des Vattenfall Kunstpreises einrichtet, zeigt neben „The Shift“ noch zwei Frühwerke von ihm. Da ist zunächst „München – Die unbekannten Kathedralen“, eine Dokumentation von gigantischen Leerräumen in der bayerischen Landeshauptstadt, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und zum Teil gar nicht bekannt sind. Der Künstler fotografierte diese Orte 1995 mit einer speziellen 180-Grad-Kamera und zeigt die Bilder nun in einer Diaprojektion auf einer halbrunden Leinwand. In seiner Fotoserie „Hidden City“ von 1994 ist die Schwarz-Weiß-Aufnahme eines gemütlichen Partykellers zu sehen, der mit allem ausgestattet ist, was man für eine gute Party braucht: Schwere Theke, Minijukebox, CD „Best of Yesterday“, Bacardi-Flasche. Über der Bar hängt ein Schal mit der Aufforderung: „Status Quo: Rock till you drop.“ Nur die Ortsangabe auf dem Passpartout des Fotos vom Partykeller ist etwas irritierend: „Hitler’s private bunker“. Kein Raum ist unschuldig.

„Hidden City“ dokumentiert, wie ehemalige Verwaltungsgebäude der Nazis in München heute genutzt werden. Die harmlosen Alltagsszenen, die Rosefeldt fotografierte, wirken angesichts der Geschichte dieser Orte absurd.

Und doch folgen die Bilder einmal mehr dem Goldfischprinzip: Es gibt anscheinend ein Bedürfnis zu verdrängen, um weiterschwimmen zu können. Ein Foto Rosefeldts zeigt Hitlers ehemaliges Frühstückszimmer. Darin sitzt eine Musikstudentin, beim Harfenspiel.

■ Bis 18. 10., ein Katalog erscheint