Gefängnisimam in Frankfurt: Koran im Knast

Gefängnisimam Mustafa Cimşit nimmt sich der Probleme muslimischer Häftlinge an. Seine Unabhängigkeit ist für viele ein Problem.

Justizvollzugsanstalt in Frankfurt-Preungesheim Foto: dpa

Mustafa Cimşit sitzt auf seinen Schienbeinen im Gebetsraum, auf seinem Kopf ein „Sarik“, wie er seine religiöse Kopfbedeckung nennt. Er hat den Koran vor sich aufgeklappt, die Augen geschlossen. Gleich wird er das Freitagsgebet zur Mittagszeit anleiten. Hinter ihm stehen etwa 15 Gefängnisinsassen, in zwei Reihen aufgeteilt, und beten mit.

Cimşit betet aber nicht in einer Moschee, sondern in der JVA Frankfurt am Main. Auf die Frage, wie er seine Arbeit beschreiben würde, sagt er, er sei der Imam, „dem die Knackis vertrauen“.

Am Ende des Freitagsgebets stehen die Insassen dicht beieinander. Bein an Bein, Arm an Arm. Cimşit und die Männer sprechen das Glaubensbekenntnis. Anschließend verschenkt Cimşit Datteln. Mit Datteln sollen sie heute Abend ihr Fasten brechen. Er selber wird mit seiner Familie im 50 Kilometer entfernten Kaiserslautern essen, die Insassen sind an diesem Abend unter sich.

Die Gefängnisleitung stellt den Fastenden schon mittags ihr Essen in die Zelle. Bei der „Ramadankost“ handelt es sich um eine Kaltspeise und ein Suppenpulver, das, um 21:39 Uhr heiß aufgegossen wird.

Ein Gebetsraum für alle

In dem speziell für die JVA durch den Münchener Künstler Werner Mally entworfenen Gebetsraum verlaufen gelbe Streifen zum Boden hin – sie sollen einfallendes Sonnenlicht und Hoffnung symbolisieren. Hier beten Christen und Muslime zu unterschiedlichen Tageszeiten; Konfessionen werden hier nicht räumlich getrennt. Soviel Einigkeit wie im Knast würde sich Mustafa Cimşit auch draußen wünschen.

Der Bedarf für diesen Imam ist immens: Etwa 25% der Gefängnisinsassen im hessischen Vollzug und fast 200 der 564 Haftinsassen in der JVA Frankfurt sind Muslime, sagt der Pressesprecher des hessischen Justizministeriums, René Brosius.

Dennoch ist Cimşit deutschlandweit der einzige muslimische Gefängnis-Seelsorger, der in Vollzeit arbeitet, während es kirchliche Ansprechpartner in so gut wie jeder JVA gibt.

Keine Festanstellung

„Die Gleichstellung der muslimischen Seelsorge geht schleppend voran, ich selbst musste für vieles kämpfen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte“, sagt er. Und das obwohl Cimşit etwa jedes zehnte Einzelgespräch mit nicht-muslimischen Insassen führt. Auch die Zusammenarbeit mit der evangelischen Seelsorgerin und dem katholischen Seelsorger der JVA gestaltet sich „reibungslos“ und verläuft „exzellent“; gemeinsame Projekte sind geplant.

Cimşit stört sich vor allem am arbeitsrechtlichen Status der muslimischen Gefängnisimame: Im Gegensatz zu den regulären Seelsorgern sind sie nicht fest angestellt, sondern nur freie Mitarbeiter. Weder genießen sie eine soziale Absicherung durch den Arbeitgeber, noch haben sie Anspruch auf Urlaubstage oder Krankengeld.

„Gerade in einem Beruf, der gesellschaftlich wichtig und psychisch belastend ist, sind freie Verträge keine Lösung“, meint Cimşit. Auch Gefangene registrierten die Ungleichheit zwischen den Seelsorgern. „Wenn sie merken, dass ihren religiösen Interessen keine Bedeutung beigemessen wird, dann fühlen sich muslimische Insassen diskriminiert“, meint Cimşit.

Sprechstunde auch für Nichtmuslime

In seinem Büro in der JVA bietet Cimşit täglich eine Sprechstunde an, in der er sich den Problemen von bis zu 15 Insassen annimmt, auch nichtmuslimischen. Der Anstaltsbeirat, der die JVA in der Öffentlichkeit repräsentiert, äußerte den Wunsch, einen Imam in den täglichen Gefängnisbetrieb aufzunehmen, erläutert JVA-Leiter Frank Lob. Dieser sollte auf Deutsch predigen und unabhängig sein. „Weil der Islam so heterogen ist, musste der Imam ein breites Spektrum abdecken“, so Lob.

Kriterien, die Cimşit erfüllt: Er kam im Alter von vier Jahren als Gastarbeiterkind aus der Türkei nach Deutschland, machte in Ludwigshafen am Rhein sein Abitur, studierte im Anschluss Religionswissenschaften in Frankfurt. Von sich selbst sagt er, er sei sowohl „türkischer Muslim“ als auch „deutscher Patriot“. Er fühle sich für das Wohlergehen Deutschlands verantwortlich.

Konkurrenz der Verbände

2013 gründete Cimşit die SCHURA (auf Arabisch sinngemäß „Anhörung“, „Beratung), einen Verband, der sich zum Ziel setzte, die Muslime in Deutschland unter einem Dach zu vernetzen. Sowohl schiitische, als auch sunnitische Gemeinden wurden Mitglied, der Verband führte verschiedenste Nationalitäten, etwa Türken, Afghaner, Albaner und Ägypter, zusammen.

2014 scheiterte der Versuch: Kurz bevor ein Arbeitskreis muslimischer Gemeinden gegründet werden konnte, sprang die DITIB ab. Es folgten der Verband der muslimischen Kulturzentren und der Islamrat. „Von allen kam die gleiche Begründung: Wir sind bereits Dachverband, wir brauchen keine zusätzliche Ordnungsform, die uns zusammenfasst.“

Das führt Cimşit auf verkrustete Strukturen zurück. „Ich glaube, dass Konkurrenzkampf innerhalb der islamischen Verbände eine große Rolle spielt“, sagt er rückblickend. „Wenn du dich unterordnest, dann bist du kontrollierbar.“

Synergien sehen anders aus

Ein großes Problem sei auch, dass DITIB etwa als Riesenkomplex mit mehr als 900 Ortsvereinen, kaum Kooperationen mit anderen Strömungen eingehe.

Erst kürzlich wurde die Heterogenität deutscher Islamverbände zum Politikum: Am vergangenen Wochenende, als etwa 1.000 Muslime unter dem Motto „Nicht mit uns“ gegen Gewalt im Namen ihrer Religion in Köln demonstrierten, waren auch Vertreter des Zentralrats der Muslime oder des Liberal-Islamischen Bundes mit von der Partie – die DITIB hingegen nahm an der Kundgebung nicht teil, begründete dies mit der Stigmatisierung der Muslime. Synergien jedenfalls, das weiß Cimşit, sehen anders aus.

Cimşit erfährt häufig Ablehnung, eben weil er nicht kontrollierbar ist. „Ich wurde in meiner Abwesenheit oft verbal abgewertet“, wahlweise als „V-Mann“, „Spitzel“ oder „Konspirant“. Vor kurzem machten ihn Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Deradikalisierungsprojekts Leitplanke, bei dem Cimşit beratend mitarbeitet, darauf aufmerksam, dass es einen auf seinen Namen geführten Blog im Internet gibt, der zweifelhafte Inhalte bereitstellt.

Denunziation auf Fake-Blog

Auf dem Blog wird Cimşit als Gülen-Anhänger („Ich forderte von der Bundesregierung Asyl für den Islamgelehrten Fethullah GÜLEN und eine Strafanzeige gegen Diktator Erdoğan wegen Völkermord und Verfolgung Unschuldiger!“) und homophob („Sind Homosexuelle ein Teil unserer Gesellschaft? Wenn sie weg sind bin ich froh!“) denunziert.

„Das bringt mich sowohl bei der deutschen Öffentlichkeit als auch innerhalb des türkischen Community in Misskredit“, sagt Cimşit. Er weiß bis heute nicht, ob hinter der Rufmord-Kampagne Rechtsextreme oder radikale Muslime stecken. Cimşit hat eine Anzeige gegen unbekannt erstattet und auf seinem Facebook-Profil darauf aufmerksam gemacht, dass er nichts mit diesen Inhalten zu tun habe.

Viel mehr bleibt dem Gefängnisimam aber nicht übrig. Ob der Blog gelöscht wird, oder nicht: Cimşit wird sich weiterhin den Problemen der Insassen der JVA Frankfurt annehmen, mit ihnen beten und fasten.

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Jan Aleksander Karon, geboren 1992 als Sohn polnischer Einwanderer, arbeitet als Journalist in Berlin. Er schreibt für Zeit Online und ist Redakteur bei der Produktionsfirma Doclights für die Talkshow „Dunja Hayali“.

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