Gefährlicher Bürokratieabbau : Ehrt die Bürokraten!
Das Bürokratieabbau-Paket der Bundesregierung ist ein Witz. Das Problem ist nicht Verwaltungsversagen, sondern in aller Regel Politikversagen.
taz FUTURZWEI | Das Bundeskabinett hat in Absprache mit den Bundesländern einen „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“ beschlossen. Dieser Pakt ist der populistische Versuch, die in vielen Jahrzehnten präzisierten verrechtlichten Strukturen in den geltenden Verwaltungsverfahren aufzuweichen.
Unter dem Label vom Bürokratieabbau wird das Vorurteil von einer angeblich entscheidungsunfähigen Verwaltung bedient, von angeblich unabgestimmten Zuständigkeiten und einer nur mit sich selbst beschäftigten Beamtenschaft. Diese Beamtenschelte wird von Politikern und nun auch von Grünen dazu benutzt, um sich selbst als potentielle Zukunftsheroen zu stilisieren, die bisher nur an ihrer eigenen Verwaltung scheitern.
Dabei sind die sinnvoll geregelten Entscheidungswege im Verwaltungsverfahren mit offenen Klagewegen für Bürger, Umweltverbände und andere bis hin zu den Verwaltungsgerichten die Bedingung für Rechtssicherheit im Alltagsleben.
Wir sind hier nicht in Indien
Eine Rechtssicherheit, die die Verwaltungen aller Ebenen zu hoher Sorgfalt in der Umsetzung der Gesetze verpflichtet.
Eine Rechtssicherheit, die der deutschen Wirtschaft den entscheidenden Standortvorteil für ihre Entwicklung, ihren Marktzugang und ihren Erfolg auf den Weltmärkten garantiert.
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Karl Haeusgen, Präsident des Branchenverbandes VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) hat das laut FAZ auf dem Maschinenbaugipfel vor einer Woche vor hunderten mittelständischen Unternehmern so auf den Punkt gebracht: Wer in Indien ein Grundstück kaufe und eine Baugenehmigung brauche, der merke sehr schnell, „dass Rechtssicherheit und die Abwesenheit von Nebenabgaben eben auch Standortvorteile sind.“
Der als „Große Entrümpelung“ (FAZ-Überschrift) verkaufte Beschleunigungspakt wird auch nicht dadurch plausibler, dass er von den Grünen mit den Notwendigkeiten der schnell zu vollziehenden „Großen Transformation“ von Wirtschaft und Gesellschaft ins nachfossile Zeitalter begründet wird.
Umweltschutz bedroht, juristische Konflikte vorprogrammiert
Die im Pakt beschlossenen Maßnahmen sind effekthaschende Einzelmaßnahmen, die keine große Wirkung entfalten, aber die Sicherung öffentlicher Interessen behindern werden. Einige Beispiele: Die Verkürzung von Fristen in vielen Genehmigungsverfahren bedeutet einen Verzicht auf inhaltliche Steuerung der beantragten Maßnahmen in öffentlichem Interesse.
Die nach drei Monaten bei Nichtentscheidung automatische Geltung einer Baugenehmigung hebelt die Planungsrechte der Kommunen aus – mit für sie unübersehbaren, auch finanziellen Folgen. Der Verzicht auf Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) bei Ersatzbauten in der maroden Infrastruktur hebelt Errungenschaften des Umweltschutzes aus. Er delegitimiert aus nationalem Interesse die in diesem Bereich schon vereinheitlichte Rechtskraft der EU. Konflikte mit dem EUGH sind programmiert.
Die analoge Beteiligung der Öffentlichkeit in Genehmigungsverfahren soll mittels Digitalisierung eingeschränkt werden. Die Behörden sollen im eigenen Ermessen entscheiden können, ob sie völlig auf Beteiligung der Öffentlichkeit verzichten wollen. Damit wird ein gutes Stück mühsam erkämpfter, ökologisch demokratischer Kultur aufgegeben. Der Klageweg zu den Verwaltungsgerichten soll mit dem Ausschalten angeblich missbräuchlicher Rechtsbehelfe von Antragstellern verstellt werden.
Aufforderung zum Rechtsbruch
Schließlich verlangen die Länder vom Bund 500 Millionen Euro, um ihr Personal in den Genehmigungsbehörden aufzustocken. Geld, das nichts an den fehlenden, qualifizierten Bewerbern für die in immer größere Zahl freier Stellen in den Genehmigungsbehörden ändert.
Die Welt muss wieder schön werden
Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.
Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur
Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.
Die über hundert Vorschläge im Beschleunigungspakt sind auch deshalb Luftnummern, weil für ihre Umsetzung keine verbindlichen Zeitziele vorgegeben worden sind. Für viele Vorschläge müssten geltende Gesetze in Novellierungsgesetzen geändert werden. Ein augenzwinkerndes „lasst es uns doch einfach mal versuchen“ ist offene Aufforderung der Beamten zum Rechtsbruch.
So etwas ist als Versuch zu bewerten, eine rein politisch bestimmte Handlungsebene der Verwaltung zu etablieren, jenseits der vorgeschriebenen Verfahren. Es würde die Legitimität der zu genehmigenden Maßnahmen selbst beschädigen, wenn sie gegen Recht und Gesetz willkürlich durchgesetzt würden.
Beispiele für gutes Regieren
Es ist nicht Verwaltungsversagen, sondern in aller Regel Politikversagen, das den Fortgang von Transformations- und anderen Großprojekten behindert.
Aber „Gutes Regieren“, wie das Schlagwort heißt, ist keine Hexerei. Beispiel dafür sind die Klima-, Energie- und Wärmepolitik des Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habeck oder die unaufgeregte Arbeit des Chefs der Netzagentur, Klaus Müller, beim erfolgreichen Bewirtschaften der Gasspeicher ohne russisches Gas. Gutes Regieren zeigen, zum Bespiel, auch Belit Onay und Boris Palmer, die Oberbürgermeister von Hannover und Tübingen.
Alle vier führen die Republik im Bund und in Städten mit ihren Verwaltungen und Beamten innovativ und zielbewusst in die Große Transformation, anstatt sie als Bürokraten zu beschimpfen und mit der Drohung von der großen Entrümpelung zu demotivieren.
UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.