Gedenken: Durch Arbeit systematisch töten
Das nordfriesische KZ Ladelund existierte sechs Wochen lang und brachte vor 65 Jahren 301 Häftlingen den Tod. Später wurde dort die erste Gedenkstätte Deutschlands errichtet.
Heute ist es nur eine große Wiese. Quadratisch, grün und umzäunt. Doch bis in die späten Sechziger standen dort Baracken, die letzte wurde 1970 abgerissen. Hier bestand vom 1. November bis zum 16. Dezember 1944 ein Außenlager des KZ Neuengamme, am Rande des Ortes Ladelund, nahe Niebüll, knapp unterhalb der dänischen Grenze. Diese sechs Wochen haben gereicht, um 301 Menschen den Tod zu bringen. Beerdigt sind sie auf dem Friedhof von Ladelund - und damit beginnt die Geschichte der Gedenkstätte.
1950 gegründet, ist sie die älteste in Deutschland, und sie ist die einzige in kirchlicher Trägerschaft. Die Gedenkstätte teilt sich auf in ein Mahnmal, eine Begegnungsstätte sowie ein Dokumentationshaus, in dem auch eine Bibliothek untergebracht ist, und eine kleine, fundierte Ausstellung. Diese versteht es, in aller Kürze die Geschichte des NS-Lagersystems und des Lagers Ladelund mit den lokalen Ereignissen zu verknüpfen. Da erfährt man zum Beispiel, dass die angeblich so eigensinnigen nordfriesischen Bauern es eilig hatten, bei den Nazis unterzuschlüpfen: Bereits bei der Reichstagswahl von 1932 erzielt die NSDAP in Ladelund knapp 85 Prozent der Stimmen. Die Hoffnung, von den Kriegsvorbereitungen auch wirtschaftlich zu profitieren, erfüllten sich indes nicht. Stattdessen kam 1944 der Tod auch nach Ladelund: 2.000 Männer aus dem KZ Neuengamme wurden in Viehwaggons ins benachbarte Achtrup deportiert und in Ladelund in einem ehemaligen Lager des Reichsarbeitsdienstes eingepfercht. Sie sollten den "Friesenwall" schaufeln, einen Panzergraben, gedacht als Verteidigungslinie von der Nord- zur Ostsee - für den Fall, dass der Feind in Dänemark landen würde.
Militärisch war das Unterfangen sinnlos, denn die Alliierten waren längst in der Normandie gelandet. Doch darum ging es auch nicht: "Ladelund war ein Todeslager; hier wurden die Menschen durch Arbeit vernichtet", sagt Pastor Hans-Joachim Stuck, der die Gedenkstätte heute leitet. Die Ausstellung dokumentiert einzelne Versuche der Ladelunder, den Entkräfteten, die jeden Tag durchs Dorf geprügelt wurden, etwas zu Essen zuzustecken. Für andere waren die Häftlinge Schwerverbrecher, mit denen man kein Mitleid zu haben brauchte.
Das Areal beherbergte ursprünglich ein für 200 Menschen vorgesehenes Arbeitslager des Reichsarbeitsdienstes.
Der Umbau zum KZ begann im Oktober 1944. Am 1. November brachten die Nazis 2.000 Menschen aus den KZ Husum-Schwesing und Neuengamme dorthin.
Die Gefangenen waren Widerstandskämpfer aus ganz Europa, vor allem aus den Niederlanden.
Die Sterberate aufgrund von Unterernährung war so hoch, dass Ladelund als "Todeslager" galt.
Nach dem Krieg wurde das Areal Lazarett, später Flüchtlingslager.
Die letzte Baracke wurde 1970 abgerissen.
Dokumentiert ist auch die Rolle des damaligen Ortspastors Johannes Meyer. Meyer war früh Mitglied der NSDAP, schloss sich sofort den "Deutschen Christen" an, mit denen die Nazis die Gläubigen auf Linie bringen wollten. Doch Meyers Weltbild geriet ins Wanken, als ihm schon nach wenigen Tagen die ersten Toten gebracht wurden, die er auf dem Ladelunder Friedhof beerdigen sollte. Die Männer waren halb verhungert und schwer misshandelt worden. Meyer weigerte sich, die Toten ohne Namen zu beerdigen und sorgte dafür, dass sie ins Kirchenregister aufgenommen wurden.
Ob er allerdings tatsächlich in der Silvesternacht 1944 in einem Brief an Hitler gegen die Morde protestierte, oder ob er das erfunden hat, um das Entnazifizierungsverfahren besser zu überstehen, ist noch nicht erwiesen. Sicher ist aber, dass Meyer den Mut aufbrachte, nach Kriegsende die Angehörigen der Toten zu informieren - insbesondere die Angehörigen der Häftlinge aus dem niederländischen Putten. Dort hatten die Nazis nach einem Partisanenüberfall zur Vergeltung die Stadt niedergebrannt und 589 Männer ins KZ Neuengamme verschleppt. Etliche von ihnen wurden nach Ladelund deportiert, 111 von ihnen starben. Als nach dem Krieg die ersten Puttener Ladelund besuchten, war es für sie undenkbar im Land der Täter zu übernachten. Sie nächtigten in Dänemark. Doch bald entwickelte sich ein reger Besuchsaustausch, der bis heute anhält.
Erst Mitte der Achtziger beginnt die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ladelunder Geschichte. So widerlegt die Ausstellung unter anderem die Mär, dass die Kriegsmarine von den Verbrechen in Deutschland weder gewusst habe noch daran beteiligt gewesen sei. Tatsächlich besteht die Ladelunder Wachmannschaft aus Marinesoldaten.
Überhaupt legt das Ladelunder Dokumentationshaus Wert darauf, die Geschichte des Lagers auch nach Kriegsende weiter zu erzählen - und damit die Geschichte der Täter. Da ist etwa Hans Griem, der sadistische Lagerkommandant, dem auch das kaum bekannte Außenlager Husum-Schwesing unterstand. Griem wurde nach Kriegsende zwar zunächst festgenommen, konnte aber dann entkommen. Später lebte er unter seinem echten Namen in Hamburg-Bergedorf. Die Flensburger Staatsanwaltschaft hatte es nicht eilig, eine Anklage wegen mehrfachen Mordes gegen ihn zu verfolgen und versuchte immer wieder, das Verfahren einzustellen. Erst als Hamburger Staatsanwälte die Ermittlungen übernahmen, gab es Bewegung. Doch bevor es zum Prozess kam, starb Griem.
Auch über einen anderen Täter informiert die Gedenkstätte, den General Friedrich Christiansen. Er hatte als Befehlshaber über die besetzten Niederlande die Vergeltungsmaßnahmen gegen die Stadt Putten angeordnet. Christiansen ist von der Insel Föhr, und für die meisten Föhrer kann einer der Ihren nichts Schlimmes getan haben. Sie verehren ihn lieber als Fliegerhelden. Als er nach wenigen Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, trug man ihm die Ehrenbürgerschaft der Insel an. Von 1951 bis 1980 trug zudem die Fußgängerzone von Wyk seinen Namen. Dass sie heute wieder "Große Straße" heißt, ist dem geduldigen Protest der Ladelunder und ihres Pastors Harald Richter zu verdanken. Er folgte 1958 auf Johannes Meyer und förderte die Erinnerungskultur entscheidend: Auch über die Kirchengemeinde hinaus verankerte Richter sie im Ort. Er scheute sich dabei nicht, sich auch mit denen anzulegen, die einen Schlussstrich ziehen wollen: "Richter ist 1964 mit jungen Leuten hier aus der Gegend nach Föhr gefahren, um gegen diesen Skandal zu protestieren - da gab es die APO noch gar nicht", erzählt Gedenkstättenleiter Stuck.
In diesem Jahr ist es 65 Jahre her, dass das Lager errichtet wurde und wieder werden im November Menschen aus Putten und anderen Gegenden kommen, um ihrer Angehörigen zu gedenken oder um als Überlebende auf die Wiese zu schauen, auf der sie damals drangsaliert wurden. Sie werden auch die Eisenskulptur betrachten, die Husumer Schüler fertigten - und den Gedenkstein, der auf einem kleinen Stück Land vor der Wiese steht. Früher musste die Gemeinde für dieses Stück Boden Pacht bezahlen. Mittlerweile hat der Eigentümer es ihr überlassen.
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