Gedenken in Charlottenburg: Erinnern an einen roten Kiez
Rund um den Klausenerplatz leisteten Linke in den 30er-Jahren Widerstand gegen die Nazis. Das wird nun mit einer Gedenktafel gewürdigt.
In der Charlottenburger Zillestraße wird ab April eine Gedenktafel an 71 Widerstandskämpfer gegen das Naziregime erinnern. Dies hat die Gedenktafelkommission des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf vor wenigen Tagen beschlossen. Ein Jahr zuvor hatte ein Lehrer die öffentliche Erinnerung an den Widerstand im Viertel vorgeschlagen hatte.
"Roter Kiez" oder "Kleiner roter Wedding" wurde die Gegend rund um den Klausenerplatz seit der Zeit der Weimarer Republik genannt. Die Zillestraße, damals noch Wallstraße, galt in den 1930er Jahren als Hort des Widerstands. Vor allem Arbeiter, die durch die Wirtschaftskrise keine Jobs mehr fanden, hatten sich der Gegenwehr angeschlossen.
Als die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 an die Macht kamen, marschierte der dort ansässige SA-Sturm 33 durch die Straße, um seine neu gewonnene Macht zu demonstrieren. Anwohner des Kiezes, darunter viele Sozialdemokraten und Kommunisten, stellten sich der Truppe entgegen. Ein SA-Mann und ein Polizist kamen bei einer Schießerei ums Leben.
48 Männer und vier Frauen, darunter viele Sozialdemokraten und Kommunisten, wurden in der Folge zu Haftstrafen verurteilt. Im gleichen Jahr wollten die Nationalsozialisten dem erschossenen SA-Mann Hans Maikowski ein Denkmal setzen und benannten die Wallstraße in Maikowskistraße um; erst 1947 erhielt sie den Namen Zillestraße. An den getöteten Schutzpolizisten Josef Zauritz, der sich ebenfalls dem SA-Sturm entgegengestellt haben soll, erinnert heute der nahegelegene Zauritzweg.
Forschung im Kiez
Die Idee für eine Gedenktafel kam dem pensionierten Geschichtslehrer Michael Röder beim Lesen des Erinnerungsbandes "Unsere Straße". In dem Buch erinnert der Schriftsteller Jan Petersen, der dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller angehörte, an die Geschichte der Charlottenburger Widerstandsbewegung. Bisher wird lediglich zweier ermordeter Personen des Widerstands in der Gegend öffentlich gedacht. "Nur weil einigen vielleicht nicht der Kopf abgeschlagen wurde, sie aber im Gefängnis saßen, haben viele genauso viel gewagt", erklärt der 65-jährige Roeder, der gehofft hatte, dass sein Vorschlag vom Bezirk schneller umgesetzt würde.
An einer Ablehnung der Idee habe das aber nicht gelegen, erklärt Marianne Suhr, die Vorsitzende der Gedenktafelkommission. "Eine solche Tafel kann textliche Stolpersteine haben. Da muss jedes Wort historisch genau überprüft werden, schließlich soll sie da ja für eine lange Zeit hängen", sagt Suhr. Strittig sei zudem gewesen, wie viele Namen auf der Tafel aufgeführt werden sollen.
Auf 71 hat sich die Expertenkommission schließlich geeinigt: Dazu gehören die 52 Menschen, die sich in der Zillestraße dem SA-Sturm entgegenstellten und dafür mit Haftstrafen bezahlten. Die anderen 19 Widerständler hatten sich im Februar 1933 in der heutigen Zillestraße getroffen und waren danach in eine Schießerei mit den Nazis geraten, bei der ein SS-Scharführer erschossen wurde. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. Der Kommunist Richard Hüttig, an den in der Gegend bereits mit einer Tafel erinnert wird, wurde indes als Rädelsführer wegen Landfriedensbruch verurteilt und 1934 in Plötzensee hingerichtet. 15 Widerständler wurden zu Haftstrafen verurteilt; bei drei weiteren Festgenommen kam es nicht mehr zu einer Verurteilung, da diese die Folter in der SA-Haft nicht überlebt hatten.
Tafel am Haus der Jugend
Die 80 mal 60 Zentimeter große Tafel soll am 8. April in der Zillestraße 54, am Haus der Jugend, in Anwesenheit von Zeitzeugen enthüllt werden. Der Ort ist bewusst gewählt: An der Hauswand jenes Gebäudes, das bis zu seiner Zerstörung im Krieg dort stand, hatten die Nazis an den SA-Mann Maikowski erinnert.
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