: Gedämpfter Exzess
Zurückhaltung bei den ekstatischen Kulthandlungen: Jasmin Solfaghari inszeniert und Markus Stenz dirigiert Henzes „The Bassarids“ in Köln
AUS KÖLNFRIEDER REININGHAUS
Den mythologischen Hintergrund des Librettos bildet eine frühantike Familiengeschichte, die Euripides mit seiner „Bakchen“-Tragödie überlieferte: Pentheus bekommt die Macht im Stadtstaat Theben von seinem Großvater Kadmos übertragen, nachdem eine von dessen Töchtern, Semele, durch eine Liaison mit Chefgott Zeus zugrunde gerichtet worden war – sie verbrannte, als sie darauf bestand, den Liebhaber in Originalgestalt spüren zu wollen. Zuvor schenkte sie dem abgründigen neuen Gott Dionysos (alias Bassareus oder Bacchus) das Leben.
Hans Werner Henze komponierte Mitte der 1960er Jahre einen symphonisch strukturierten Opern-Einakter. 1. Satz: Der kühle Pragmatiker Pentheus will präventiv den aufkommenden Dionysos-Kult mit Gewalt und Terror unterbinden. Im 2. Satz taucht ein selbstbewusster Fremder auf, der die staatliche Autorität herausfordert und dem Gewaltandrohungen nichts anhaben kann. Mit schwärmerischer Erzählung seiner Gotteserfahrung umgarnt er den jungen König. 3. Satz: Im Spiegel seiner Mutter entdeckt Pentheus bislang verdrängte Wünsche. Auf den Rat des Fremden hin verkleidet er sich und schleicht sich zu den Kulthandlungen am Berg Kytheron; dort agitiert der Fremde und ruft seine Fans zur Jagd auf den Eindringling auf. Und tatsächlich wird Pentheus im 4. Satz enttarnt und gelyncht. Indem Agaue nach Theben zurückkehrt, hält sie den Kopf ihres Sohnes in den Händen. Mühsam nur gelangt sie auf Befragen des alten Kadmos zur Einsicht. Der Fremde gibt sich endgültig als Dionysos zu erkennen und motiviert seine Handlung: Rache für Semeles Schicksal.
Jasmin Solfaghari, Oberspielleiterin in Berlin, ließ sich von Alexander Mudlagk einen multifunktionalen Rahmen bauen: Repräsentationsarchitektur, wie sie unter Mussolini entstand. Die staatliche Prügelgarde wurde in Fantasie-Uniformen gesteckt, wie sie heute in Staaten der Dritten Welt zu sehen sein mögen, die mit Kopftüchern ausgestatteten Anhängerinnen des hedonistischen Kults in einheitlich zart gemusterte Kleider. Merkwürdige Zurückhaltung bei der Darstellung der ekstatischen Kulthandlungen: die Bassariden winken mit den Händen und fuchteln etwas mit Taschenlampen.
In Abmilderung des Anstößigen und der dem Stück eingeschriebenen Brutalität erzählt die Regisseurin das Libretto bieder nach, sucht die Mythenaneignung des Werks nicht tiefergehend zu deuten oder ihm gar aktuelle Aspekte abzugewinnen. Gegenüber solcher Beschönigung der Szene erweist sich Markus Stenz als effektiver Sachwalter der Musik Henzes, dessen sanftes Espressivo er zu erhabener Schönheit treibt. Der Kölner GMD kann sich auf ein insgesamt kompetentes Sänger-Team stützen, aus dem Dalia Schaechter als Mutter Agaue hervorragt. Sängerisch und darstellerisch bestreitet auch Ray M. Wade seine Rolle als tückischer und triumphierender Dionysos so vorzüglich wie Urban Malmberg die des verklemmten und sich entfesselnden Pentheus.
24. September 2005, 19:30 UhrOper KölnInfos: 0221-22128400