MIT DER TAZ-KRISE AUF DU UND DU: Gebirge mit schiefer Ebene
■ Warum ist die taz-Auflage gesunken?/ Der Konkurrenzkampf in der Hauptstadt
Überregionale Zeitungen haben's schwer in Deutschland. Anders als Frankreich sind wir kein Land der „Hauptstadtzeitungen“, fast alle lesen zuerst ein Blatt aus der eigenen Region — mit einem Lokalteil, der auch mitteilt, wann die Schwimmbäder schließen und welche Buslinie gerade umgeleitet wird. Selbst die großen sogenannten „Überregionalen“, ob Süddeutsche Zeitung oder Frankfurter Rundschau, sind mit mindestens zwei Dritteln ihrer Auflage Regionalzeitungen, die ein weiteres Drittel in der übrigen Bundesrepublik vertreiben. Unter den Westzeitungen gibt es nur zwei, die kein oder nur ein schwaches lokales „Standbein“ besitzen. Die Welt, die als ideologisches Flaggschiff des Springer-Konzerns eben auch zweistellige Millionenverluste machen darf..., — und die taz, die dieses Privileg nicht genießt.
Als undogmatisch-linke Tageszeitung war ihr immer die überregionale Meinungsbildung wichtig; der Standort Berlin brachte es trotz eines eigenen Lokalteils nur auf ein Drittel der Gesamtauflage. Mit der Folge, daß die Lokalauflage für Anzeigenkunden immer zu niedrig blieb. Ähnlich geht es den anderen taz- Lokalteilen in Hamburg und Bremen.
Als die Mauer fiel, jubilierten auch die tazlerInnen: ein Riesenmarkt schien sich im Osten zu öffen, Berlin wurde zur Hauptstadt — ja, im taz-Hauptquartier spielte man schon mit dem Gedanken, den Berliner Lokalteil bundesweit zu verbreiten. Doch dann kam die kalte Dusche. Die Ostauflage — ab Anfang 1991 ist sie in den geprüften Auflagezahlen (siehe Grafik unten) enthalten — brach genauso weg wie bei allen anderen Westzeitungen, und statt Hauptstadtpolitik gab es aus Berlin vor allem Provinzpossen zu berichten. Derweil begann an der Spree ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Er kostete das Volksblatt seine Existenz als Tageszeitung, den Tagesspiegel 10.000 verkaufte Exemplare und seine verlegerische Unabhängigkeit. Die taz verlor genauso viele LeserInnen — nur ist sie kleiner und damit noch anfälliger.
Der Berliner Anteil an der gesamten Auflage ging trotz der größer gewordenen Stadt von rund 33 auf 25 Prozent zurück. Je schwächer das Berliner Standbein, desto größer die Abhängigkeit unserer prononciert politischen taz von Leselust und der allgemeinen politischen Stimmung. Doch wir können nicht mehr auf bessere Zeiten warten, unsere LeserInnen müssen jetzt entscheiden, ob sie die taz weiter wollen: 5.000 Rettungsabos, sonst ist am Jahresende Schluß. MR
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