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Archiv-Artikel

Geballte Dämmung

Stroh ist günstig, es wächst fast überall und hat gute Dämmeigenschaften. Gepresste Ballen lassen sich wie Steine einfach übereinanderstapeln – und sind zudem auch noch feuerresistent

VON LARS KLAASSEN

Auch lang tradierte Lebensweisheiten haben sich irgendwann überholt. Etwa das Märchen von den drei kleinen Schweinchen: Die bauen jedes ein Haus. Eines aus Stroh, eines aus Holz und das dritte aus Stein. Als der böse Wolf kommt und den Schweinchen ans Leder will, pustet er ihnen ihre Behausungen einfach weg. Die zwei mit dem Eigenheim aus nachwachsendem Rohstoff retten sich zum dritten ins steinerne Heim, woran dem Wolf schließlich die Puste ausgeht. Die Moral von der Geschichte: Bau was Solides! Der Ruf des Baustoffs Holz hat unter diesem – bauphysikalisch zweifelhaften! – Märchen nie ernsthaft gelitten. Beim Stroh wird es Zeit für eine Richtigstellung: „Mit Strohballen lassen sich auf einfache Weise hochwärmegedämmte, umweltfreundliche Wohnhäuser erstellen“, betont Dirk Scharmer, Geschäftsführender Vorstand des Fachverbands Strohballenbau (Fasba). „Hunderte von gebauten Beispielen, einige über 80 Jahre alt, beweisen: In dieser Bauweise lassen sich kostengünstig haltbare, gesunde, mehrgeschossige Bauten errichten.“

Grundsätzlich gibt es zwei Bauweisen: die lasttragenden und die nicht lasttragenden. Bei der lasttragenden Konstruktionsart, die sich aus der historischen Bauweise, dem Nebraska Style entwickelt hat, übernehmen die Strohballen alle vertikalen Lasten: in der Regel das Dach, manchmal auch die Geschossdecke. Dabei werden zusätzlich Holzlatten und Bambusstangen auf den Außenseiten der Strohballen angebracht. Hat die Wand die gewünschte Höhe erreicht, wird obenauf ein sogenannter Ringanker gelegt. Das ist eine stabile Holzbox oder starke Holzlattung, die gegen das Fundament verspannt wird. Dadurch wird die Stabilität der Wand erhöht, ein Absenken vorweggenommen und eine ebene Fläche geschaffen, die die Last des Dachs gleichmäßig auf die Wand verteilt. Fixe Strukturelemente wie Fenster- oder Türrahmen lassen sich nicht komprimieren, oberhalb oder unterhalb müssen Zwischenräume gelassen werden. Haben die Wände sich nach vier bis acht Wochen gesetzt, werden sie verputzt.

In Strohballenständerkonstruktionen übernehmen Strohballen keine tragende Funktion, sondern werden als wandbildender Dämmstoff eingesetzt. In beiden Fällen kann der Putz direkt in die Oberfläche der Strohballen eingearbeitet oder auf einen an den Strohballen befestigten Putzträger aufgebracht werden. „Lehm und Putz ergänzen sich fantastisch, sagt Otto Merz. Der Architekt hat schon vor Jahren Erfahrungen im Lehmbau gemacht. „Diese Bauweise ist noch mal was ganz anderes.“ Doch für ihn gehören beide Materialien zusammen: „Beim Strohballenbau schützt der Lehmputz das Stroh vor Feuchtigkeit.“ Er hat die Fähigkeit, viel davon aufzunehmen und nach außen freizugeben. Eine andere Sorge, die viele Laien beschäftigt, spielt beim Strohballenbau kaum eine Rolle: die Brandgefahr. Da die Ballen – schon aus Gründen der Stabilität und Dämmung – stark gepresst werden, sind sie schwer entflammbar. Eine vom Fasba initiierte Prüfung ergab für eine beidseitig mit 3 Zentimeter Lehmputz verkleidete Strohballenwand einen Feuerwiderstand von über 90 Minuten. Mit diesen Strohballen ließen sich nach deutschem Baurecht mehrgeschossige Wohnhäuser errichten.

Familie Warmuth hat sich auf dem eigenen Bauernhof in Wargolshausen ein Wohnhaus gebaut. „Mir ging es auch darum, ein Haus aus Produkten zu bauen, die ich selbst herstelle, erläutert Albert Warmuth. „Außerdem kann ich noch jahrelang heizen, bis ich die Energie verbraucht habe, die andere schon für die Herstellung ihrer Baumaterialien benötigen.“ In den drei Jahren nach Fertigstellung haben ihn die guten Dämmeigenschaften ohnehin überzeugt. Achim Wüst, der Architekt des Gebäudes, schätzt: „Der Wärmeschutz des Strohs ist etwa dreimal so gut wie bei herkömmlicher Bauweise.“

In Australien, Kanada und den USA sind Häuser aus Strohballen wesentlich weiter verbreitet. Im späten 19. Jahrhundert begann das Bauen mit Stroh in den USA mit der Entwicklung dampfgetriebener Strohballenpressen. Es entstanden die ersten Strohballenhäuser in Nebraska, einem Gebiet mit riesigen Getreidefeldern. Auch in Europa – etwa in Frankreich, England, Holland, Österreich, der Schweiz und Dänemark – hat diese Bauweise mittlerweile Fuß gefasst.

Dass dies auch hierzulande geschieht, daran arbeitet Stroh Unlimited. Das Unternehmen von Friederike Fuchs und Britta Imhoff plant Projekte mit dem nachwachsenden Rohstoff und begleitet auch die Bauphase von der Statik bis zum Abschluss. „Wir haben nur Stroh im Kopf“, lacht Fuchs. Die Architektin kann sich unter anderem deshalb für das Material begeistern, weil es die richtigen Eigenschaften zum organischen Bauen mitbringt: „Kaum ein anderer Baustoff lässt sich so flexibel in Rundungen formen.“ So können etwa mit geringem Aufwand Nischen herausgearbeitet werden. Statt rechteckiger Putzkanten mit Putzschienen bieten sich abgerundete Gebäudeecken und Fensterlaibungen an. Wie einfach organische Strohballenarchitektur gestaltet werden kann, hat Stroh Unlimited beim Bau der Ökostation in Prenzlau gezeigt. Das ovale Gebäude wurde von Laien unter Anleitung errichtet. Fuchs betont: „Die Arbeitsgänge sind schnell erlernbar.“ Stroh Unlimited veranstaltet regelmäßig Projekte, die Strohbautechniken vermitteln.

Weitere Informationen: www.fasba.de und www.stroh-unlimited.de