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GastkommentarFinanzquellen der Klientel versiegen

Gastkommentar von Barış İnce

Journalist Barış İnce sieht die Amtsenthebung der kurdischen Bürgermeister*innen als Schlag gegen die Aufdeckung von Korruption und Misswirtschaft.

Die Polizei schirmt das Rathaus von Diyarbakır vor den Bürger*innen ab Foto: Sertaç Kayar

I n der Türkei wird schon wieder geputscht. In drei Großstädten im Südosten des Landes wurden vom Innenministerium Zwangsverwalter anstelle der gewählten Bürgermeister*innen eingesetzt. In Diyarbakır, Mardin und Van regieren ab heute die amtierenden Gouverneure im Rathaus.

Es putscht nicht das Militär, sondern die Zentralregierung, die ihre weisungsgebundenen Gouverneure als Zwangsverwalter über das Gemeinwesen der drei Großstädte einsetzt. Dabei wird in der regimenahen Presse betont, Grund für das Vorgehen sei eine Unterstützung der PKK durch die drei Bürgermeister*innen. Wir wissen allerdings, dass diese drei Personen rund ein Vierteljahr nach ihrer Wahl damit Schlagzeilen machten, dass sie die unglaubliche Verschwendung öffentlicher Gelder und Verschuldung der Kommunen durch die in der vorigen Wahlperiode dank des Ausnahmezustands waltenden Zwangsverwalter öffentlich gemacht und zum Teil ausgebügelt hatten. Wir wissen, dass der vorherige Zwangsverwalter der Stadt Van Schulden in Höhe von eineinhalb Milliarden Lira hinterlassen hatte. Bürgermeister Ahmet Türk (HDP) hatte in Mardin 620 Millionen Lira Schulden aus dem Haushalt seines Vorgängers, eines Zwangsverwalters, übernommen.

In den Großstädten im Westen der Türkei sieht es nicht wesentlich anders aus. Erst letzte Woche machte der neue Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu publik, dass die Stadt einem AKP-treuen Medienunternehmen mehrere Millionen Lira zugeführt hatte. Der Geldfluss wurde unterbunden. Für die Klientel des Palastregimes wichtige Finanzierungsquellen versiegen. Dagegen wurde nun vorgegangen. Da die Städte im Südosten des Landes von der HDP regiert werden, schien es ein Leichtes, der Öffentlichkeit im Westen des Landes glaubhaft zu machen, dass Gefahr im Verzug sei. Folglich begann man hier.

Aber alle Augen sind jetzt auf Istanbul und Ankara gerichtet. Dort gelang es der Opposition unter großen Schwierigkeiten, Wahlsiege zu erringen und die Bürgermeister zu stellen. Offensichtlich ist, dass das Vorgehen in Diyarbakır, Mardin und Van nicht zuletzt eine Warnung an die Adresse Istanbuls ist, wo sich İmamoğlu bei den auf Erdoğans Druck hin annulierten und wiederholten Wahlen gegen die Regierungspartei durchsetzen konnte.

Aber wenn er jetzt zu sehr in der schmutzigen Wäsche seiner Vorgänger und in den Amigo-Geschäften der Regierungspartei herumstochert, droht ihm die Rote Karte: der Zwangsverwalter. Das Geschehen in den kurdischen Provinzen schwächt also die Hand des Istanbuler Bürgermeisters. Tatsächlich sagte sein Parteikollege Gürsel Tekin, man habe bereits Wind davon bekommen, dass auch die Bürgermeister von Istanbul und Ankara abgesetzt werden sollen.

Sollten die nationalistischen Teile der Opposition jetzt Einspruch erheben, wäre es ein Leichtes, sie in die Nähe der PKK zu rücken. Wenn sie schweigen, sind die Weichen für den nächsten Schlag gestellt. Es reicht also nicht aus, sich zu mokieren, dass der Willen der Wähler*innen von Diyarbakır, Mardin und Van mit Füßen getreten wird. Es braucht jetzt ein vereintes Vorgehen der gesamten Opposition, um weitere Frechheiten des Palastes zu verhindern.

Aus dem Türkischen von Oliver Kontny

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