■ Gastkommentar: Wut im Bauch
Nun ist also zum 16. Juni auch der Uterus der Frauen/Ost mit dem Uterus der Frauen/West auf gesamtdeutsch wiedervereinigt. Zwei Tage vor Pfingsten erhalten wir die Verkündigung des neuen Zeitgeistes: Sieben Jünger und eine Jüngerin des durchgängig westlich besetzten Bundesverfassungsgerichtes treiben den Ostfrauen exemplarisch nun endgültig ihre aus DDR-Zeiten stammenden Allüren, wie Vollerwerbstätigkeit, bezahlte Kinderbetreuung und selbstbestimmte Schwangerschaft aus. Konsequent weiter gedacht müßte jetzt eigentlich die Abschaffung des Frauenwahlrechts und die Einsetzung von männlichen Familienvorständen folgen.
Das vorwiegend konfessionslose Land Berlin, in dessen Ost- und Westteil bisher faktisch die Fristenlösung galt, hat in vorauseilendem Gehorsam seine Hausaufgaben für das BVG bereits gemacht. Von den zehn nach Artikel 31 des Einigungsvertrages in Ostberlin eingerichteten Beratungsstellen sind sieben bereits konfessionell orientiert. Die sozialmedizinischen Dienste der Bezirke mit ihren 122 Stellen sollen abgeschafft, ihre Aufgaben durch freie Träger übernommen werden. Zum Wohle der Frauen werden das vermutlich Diakonie und Caritas sein. Der Spareffekt ist vorgeschoben, weil es keinen Pfennig weniger kostet, wenn die Caritas katholisch- ideologisch oder der Sozialmedizinische Dienst offen berät.
Besonders wütend macht mich die Vergeudung der Kraft, die die Frauen in den letzten zwei Jahren in den faulen Kompromiß der Fristenregelung mit Zwangsberatung gesteckt haben. Wir haben uns an der Nase herumführen lassen. Wir bezahlen einen bitteren Preis, um jetzt zu wissen, daß es in der Frage der körperlichen Selbstbestimmung keine Kompromisse mehr geben kann. Angesichts des Urteils dreht sich mir und anderen partei- und organisationsübergreifend arbeitenden Frauen der Magen um. Mit dieser Wut im Bauch weiß ich, daß weder Ost- noch Westfrauen die frauenpolitische Einordnung des wiedervereinigten Deutschlands zwischen Irland und Polen akzeptieren werden. Sibyll Klotz
Die Autorin ist Sprecherin des Unabhängigen Frauenverbandes und der Fraktion Bündnis 90/Grüne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen