Gastkommentar: Braune Aura
■ Über Esoterik und Faschismus
Übersinnliches hat Hochkonjunktur hierzulande. In Esoterikzirkeln wird das Herandämmern eines „Neuen Zeitalters“beschworen, in dem die Menschheit auf eine höhere Stufe des Bewußtseins katapultiert werden soll. Atavistische Namen und Begriffe durchwabern die Szene: von Kabbala, Runen und Pyramidenenergie ist da die Rede, von schamanistischem Geheimwissen, und magischen Kräften, von Astrologie, Chiromantie, Tarot und I-Ging. Das Ganze als harmlose Spinnerei einiger Durchgeknallter abzutun, wäre ebenso fatal, wie die Toleranz, den teils schreienden Unfug als durchaus ernstzunehmenden Versuch spiritueller Sinnfindung zu werten.
Heutige Esoteriker wähnen sich gerne als Avantgarde eines noch nie dagewesenen Denkens. Diese Ideen sind keineswegs originär, sie entstammen im wesentlichen der Theosophie, einer Mixtur mystischer und okkulter Traditionen, die bis ins frühe Mittelalter zurückreichen.
Einer der Esoterikzirkel, in denen um die Jahrhundertwende evolutionistische und aristokratische Abstammungslehren mit Germanentum und deutschem Romantizismus zu einem Konglomerat aus mystischer Vergangenheitssehnsucht und reaktionärem Eliteanspruch versponnen wurden, waren die Münchner „Kosmiker“, die die Swastika als Symbol der „Befreiung der Menschheit von der Last judäochristlicher Kultur“ausriefen. Im Winter 1903/04 brachen die „Kosmiker“auseinander. Ihre Wahnideen aber waren längst nach Wien geschwappt. Dort gab ab 1905 der frühere Zisterziensermönch Adolf Lanz ein ario-germanisches Esoterik-Blatt namens „Ostara“heraus. Leser dieses Blattes war der Postkartenmaler Adolf Hitler. Lanz' Idee war die Rückzüchtung einer germanischen Heldenrasse, die über alle andersrassigen „Äfflinge“und „Schräfflinge“siegen werde.
Inspiriert von Lanzens Geschwafel kam Hitler 1913 nach München. Nach seiner Rücckehr vom Kriegsdienst schloß er sich dem Dunstkreis der eben gegründeten „Thule-Gesellschaft“an. Reaktionäre Kreise aus Industrie, Adel und Militär hatten sich schon zu Wilhelms Zeiten zu esoterischen Geheimbünden, so etwa zum „Germanen-Orden für Deutsche Art“, zusammengefunden, denen es, orientiert an den antisemitischen Tiraden eines Heinrich Class, Guido von List und eben Adolf Lanz, um den Aufbau eines neuen „alldeutschen Zeitalters“ging. Großmeister der „Bayerischen Loge“des Ordens wurde ein Freiherr von Sebottendorf, dessen richtiger Name Alfred Glauer war. 1918 gründete dieser in München die „Thule-Gesellschaft“, der auch spätere Nazi-Größen wie Streicher, Heß und Rosenberg angehörten. 1919 gründeten die Thule-Brüder Drexler und Harrer die Deutsche Arbeiterpartei (DAP), die im Februar 1920 in NSDAP umbenannt wurde.
Die heutigen Vertreter des „Neuen Bewußtseins“führen die Ideologie der Theosophen fort. All das Rassistische, Antisemitische, Faschistoide bleibt jedoch unterschwellig verborgen. Nur ab und zu erfährt man vom wahren Geist, der sich hinter der biederen New-Age Fassade verbirgt: Wenn Bannerträger wie Franz Alt oder Rudolf zur Lippe rechtsextreme Pädagogik bzw. Philosophie anpreisen, wenn Jane Goodwall sich für Euthanasie stark macht oder wenn George Vithoulkas Krankheit für karmisch bedingt und damit selbstverschuldet ausgibt. Colin Goldner
Autor aus München und Kritiker des Bremer Visionen-Kongresses
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