piwik no script img

Gastkommentar zum Tempelhofer FeldVerdoppelt Kreuzberg!

Das Tempelhofer Feld am Rand bebauen oder gar nicht? Beides ist mutlos. Berlin kann hier ein neues Kreuzberg erschaffen, meint der Stadtplaner Roland Stimpel

Die Kreuzberger sind schon da - fehlt noch ein neuer Stadtteil für sie. Bild: dpa

Alle wollen nach Kreuzberg; kein zweiter Teil der Stadt ist so begehrt und überlastet. Für die wenigen freien Wohnungen werden Berliner Höchstmieten verlangt; sie kosten zwei Drittel mehr als vor fünf Jahren. Viele Menschen wollen kommen und finden nichts; andere wollen bleiben und müssen weg. Berlin braucht mehr Kreuzberg. Und gleich südlich von dort, auf dem Tempelhofer Feld, ist genug Platz dafür.

Der Senat aber plant hier neue Ödnis. Im Westen des Areals soll ein ganzes Quartier von nur drei Gesellschaften errichtet werden, darunter zwei städtischen. Die können Masse machen, aber keine bunte Stadt bauen. Es droht ein steriles Neu-Rudow statt eines vitalen Neu-Kreuzberg. Dieses blutarme, mutlose Konzept hat den Widerstand gegen jedwedes Bauen auf dem Tempelhofer Feld noch befeuert. Auch seinetwegen dominiert in der Diskussion um das Feld die konservative, romantische Idee: Bloß nichts anrühren. Schon gar nicht Stadt draus machen. Soll doch sonst wo wohnen, wer in der Innenstadt nichts findet.

Setzen wir eine Positivvision dagegen: ein sozial wie baulich gemischtes Quartier, in dem Wohnen, Arbeit und Szeneleben eng gemischt sind. Dieses Kreuzberg kann Stück für Stück von Norden her aufs Tempelhofer Feld wachsen. Es wird dicht bebaut, bekommt aber Straßenblöcke und breite Grün- und Frischluftachsen – wie Landwehrkanal oder Görlitzer Park im alten Kreuzberg.

Fahrradfreundlich wird's

Es wird fahrradfreundlich und erhält eine Straßenbahn vom Hermannplatz nach Tempelhof. Autos parken am Rand der Wohnquartiere; vor den Häusern wächst Ginster oder Gemüse. Es kann den Charme des alten Kreuzberg gewinnen, ohne dessen Schwächen zu kopieren.

Aber kann man Kreuzberg nochmals bauen, seine soziale Mischung und seine urbane aus Wohnungen, Kneipen, Gewerbe und Kultur? Es geht, wenn die Stadtplanung vier Vorgaben macht: Erstens: Die bewährten Straßenblöcke, ohne Zille-Hinterhöfe natürlich. Zweitens: Grundstücke, die nicht größer sind als die der klassischen Berliner Altbauten. Drittens: Diese Grundstücke müssen an unterschiedlichste Bauherren gehen: Gruppen und Privatleute, Genossenschaften und städtische Gesellschaften, Bauherren von Sozial- wie von Luxuswohnungen.

Viertens: Wohnen und Gewerbe eng beieinander. Das kleine, aber mutige Tübingen hat ein ganzes neues Stadtrandviertel dadurch belebt, dass alle Erdgeschosse für Gewerbe taugen mussten. Berlin kann das allemal schaffen. Im Erdgeschoss oder auch innerhalb eines Blocks.

Es gibt schon ein Pionierprojekt für die Südausdehnung Kreuzbergs, genau hinter der Bezirksgrenze zu Tempelhof an der Friesen- und Schwiebusser Straße.

Hier ist ein einstiges Gelände für Autoschrauber und Lauben an ein Dutzend Gruppen und Investoren gegangen. Viele Menschen sind aus der Kreuzberger Nachbarschaft hierhergezogen. Im Inneren des Blocks ist ein gemeinsamer Park und – das ist der Clou – die klassische Kreuzberger Nähe von Wohnen, Gewerbe und Szene.

In vier Hofhäusern zeichnen Planungs- und Architekturbüros, eine Baufirma für Messestände betreibt Berlins energieeffizienteste Werkhalle. Sogar die sonst so problematische Nähe von Wohnen und Clubs funktioniert: Dank einer Schallschutzwand existieren ein paar Hundert Schlafzimmer und die rockige Columbiahalle in friedlicher Koexistenz. Das Ganze beweist: Kreuzberg ist baubar –auch heute.

Roland Stimpel ist gelernter Stadtplaner und Chefredakteur des "Deutschen Architektenblatts"

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

6 Kommentare

 / 
  • gähn...

    ganze Planergenerationen haben sich schon wie der Gast-Autor seit den frühen 70ern an diesem Feld abgearbeitet. Und was bekamen sie vom jeweiligen Senator zu hören? "Die Mitte bleibt frei. Nur der Rand wird marginal/behutsam/kreativ/innovativ (je nach Wortmode) entwickelt".

    Das heißt vom Prinzip her, es bleibt ein Flughafen. Für wen auch immer. Das Planungsrecht ist auch unsicher, Dank auf Eis liegendem FNP/LaPro.

     

    Wenn da nur nicht die 82 Mrd. Schulden wären und die Unbekannten Gläubiger. Also für die teuerste Immobilie der Welt (Wert rd. 8 Mrd.€) lässt sich doch wunderbar ein Finanzpaket schnüren. Dann haben wenigstens die Gläubigerbanken was davon. Wie wär es mit einem geschlossenen Garantiefonds? Hat doch wunderbar funktioniert und die Verschuldung Berlins durch die Decke schießen lassen. Oder warum hat unser Senator seinen "Masterplan" weltweit als das Rendite-Objekt der Zukunft wie Sauerbier angeboten? Klar, die Katze läßt das Mausern nicht. Am 25. Mai haben die Berliner Gelegenheit diesem Ausverkauf seiner Juwelen einen Riegel vorzuschieben. Hoffentlich klappts. Dann sind es auch nur 50 ct. die uns diese weltweit einzigartige innerstädtische Offenlandschaft, das Biotop der Neuen Art kostet. Pro Berliner versteht sich :-) Alle nachfolgenden Generationen würden es uns danken.

  • Wie dieses hässlich dieses Neu-Rudwo aussehen könnte, dass dass da unter der SPD auf dem Tempelhofer Feld geplant ist, der schaue sich in der Gartenstadt Rudow um, die auch erst ab 1996 errichtet wurde, z.B. in der Liselotte-Berger-Straße

  • P
    Pause

    Den Vorschlag finde ich persönlich besser als das Volksbegehren. Denn eine Stadt sollte m.M. ständig sich verändern und sich Gegebenheiten anpassen. Beim Volksbegeheren wird nur die Angst vor Veränderung bedient, kreativ ist das nicht.

  • na ja...

    Anscheinend hat der Herr eine ganze Menge der Dinge, die im Studium (auch schon damals zu seiner Zeit) vermittelt wurden/werden vergessen zu haben. Kreuzberg lebt heute immer noch von seiner Geschichte und der ab den frühen 80iger Jahren Stück für Stück kommerzialisierten Subkultur, die v.a. nur durch die Mauerlage (=Randlage) und den damit verbundenen Freiräumen entstehen konnte. Dies auf der grünen Wiese neu zu bauen, wird nicht funktionieren. Dieser Stadtteil ist nicht gewachsen.

    Außerdem ist es für einen Stadtplaner mehr als peinlich, wenn dieser nicht die Herausforderungen des Klimawandels thematisiert (Freifläche = Kühl-, Frischluft-, Naherholungsfunktion und Erhalt der Biodiversität), mal ganz zu schweigen von den klassischen Flächennutzungskonflikten (Grünraum vs. Versiegelung, Stadt der kurzen Wege vs. Immisionsbelastung der ansässigen Bevölkerung).

     

    mfg, ein zukünftiger Stadtplaner

     

    p.s.: Warum thematisiert die TAZ nicht mal die Nachnutzungs-/Umnutzungsoptionen des ICC bzw. des Tempelhofer Flughafens bzgl. Einzug des Klaus-Wowereit-Gedächtnis-Millionengrabes a.k.a. neue zentrale Landesbibliothek?

  • Die hier beschriebene Version klingt ja an und für sich ziemlich gut. Aber urbanes Leben "von oben" zu planen ist m.M.n. immer eine schwierige Sache. Aber was war denn die Grundlage für Szeneviertel wie Kreuzberg? Vorwiegend zentrale Lage und günstige bis sehr günstige Mieten.

    Ersteres ist beim Tempelhofer Feld gegeben, aber auch Letzteres? Wenn die private Hand das Feld bebaut, muss das Geld wieder reinkommen über die Mieten. Was ist mit der öffentlichen Hand? Will/kann die für sowas Geld ausgeben?

    • @vøid:

      Die Kreuzberger Mietskasernen wurden sicher nicht Basisdemokratisch "von Unten" in Bewonergenossenschaften errichtet!