Gastkommentar Missachtete Sterbehilfe: Der Staat lässt Anna nicht gehen
Wer Sterbehilfe verweigert, missachtet bewusst die geltende Rechtslage – kritisiert die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr.
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D er Staat schwingt sich zum Herren über das Lebensende seiner Bürger auf. Es scheint, als habe das Bundesgesundheitsministerium in der Frage der Sterbehilfe eigene Wert- und Moralvorstellungen entwickelt. Wissentlich setzt sich das Gesundheitsministerium seit mehr als anderthalb Jahren über ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hinweg, das unheilbar kranken Menschen erlaubt, ein tödlich wirkendes Medikament zu kaufen.
Man denke sich folgenden Fall: Anna ist 39 Jahre alt und vor drei Jahren wurde bei ihr Krebs diagnostiziert. Es handelt sich um eine bösartige Variante, der Krankheitsverlauf ist rapide. Die Lebenserwartung ist auf wenige Monate gesunken. Annas Dilemma: Entweder unter schlimmsten Schmerzen dahinsiechen oder stark sediert den Tod abwarten, unfähig zu interagieren und über den eigenen Körper zu bestimmen.
Gemeinsam mit ihrem Ehemann, den Eltern, Verwandten und Freunden hat Anna schon zu Beginn der Krankheit die Möglichkeiten des Freitodes diskutiert. Sie hat sorgfältig das Für und Wider abgewogen und ist nach Gesprächen mit verschiedenen Ärzten zu dem Entschluss gekommen, ihr Leben selbstbestimmt und bei klarem Bewusstsein zu beenden. Ihr soziales Umfeld unterstützt Sie dabei und trägt den Entschluss mit.
Doch der Staat wird Anna nicht gehen lassen. Der Erwerb eines letal wirkenden Medikaments zum Zwecke des Freitods ist in Deutschland praktisch unmöglich. Erst kürzlich wurde das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte noch einmal angewiesen, das Urteil zu ignorieren und entsprechende Anträge pauschal abzulehnen. Schon die Verschärfung der Rechtslage im Jahr 2015 hätte uns Warnung genug sein müssen. Nunmehr aber handelt die Exekutive in bewusster Missachtung der Rechtslage und verweigert unzähligen Menschen am Lebensende ihre grundgesetzlich garantierte Menschenwürde. Diese Hybris ist rechtlich wie ethisch inakzeptabel und muss schnellstmöglich beendet werden.
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