Gastkommentar Michael Braun: Das ist doch alles nicht wahr!
Ex-Justizsenator Michael Braun (CDU) bekommt ein saftiges Übergangsgeld. Das kann beim besten Willen keine Absicht gewesen sein.
![](https://taz.de/picture/236289/14/rating_02.jpg)
O ffener Brief
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit,
sehr geehrter Herr Innensenator Frank Henkel,
sehr geehrter Herr Ex-Senator für Justiz und Verbraucherschutz Michael Braun!
Berlin verstehen – das ist nicht einfach. Zum Beispiel was den Unterschied zwischen einem Rücktritt und der Bitte um Entlassung eines Senators betrifft. Sie, Herr Braun, sind nicht von Ihrem Senatorenamt zurückgetreten. Sie haben um Ihre Entlassung gebeten. Sie, Herr Regierender Bürgermeister, haben dem entsprochen. Und Sie, Herr Innensenator Henkel, sind dieser Verfahrensweise nicht entgegengetreten. Herr Braun hat so laut Berliner Senatorengesetz Anspruch auf ein Übergangsgeld von etwa 50.000 Euro. Wäre er zurückgetreten, bestünde dieser Anspruch nicht. Das ist der kleine Unterschied. Wie gesagt: Berlin verstehen, das ist nicht einfach.
Klar, wir wissen heute, dass von Arbeitnehmern hohe Flexibilität erwartet wird. Dies gilt für jede Hilfsaltenpflegerin auf 400 Euro-Basis und für jede alleinerziehende Mutter mit Hartz-IV-Bezügen, die von Freitag auf Montag zur Fortbildung muss, um zu lernen, wie man Bewerbungen schreibt für Stellen, die es gar nicht gibt.
In diesem Umfeld ist es auch für Herrn Braun nicht leicht, nach zwölf aufregenden Tagen im Amt die Wiedereingliederung in seine Kudamm-Kanzlei als einfacher Anwalt und Notar zu schaffen. Zumal, wenn diese Kanzlei in der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht gerückt wurde. Die Arbeit in dieser Kanzlei ist anspruchsvoll und wir wissen ja aus vielen Beurkundungen, dass da oft bis nach 20 Uhr gearbeitet wird. Pflichtgemäß aufklären und beraten erfordert hohen Einsatz. Es gibt offensichtlich noch immer zu viele Laien, die nicht wissen, wie verbindlich ein „Kaufangebot“ für eine Immobilie in Berlin ist.
Sicher kann da ein Übergangsgeld nach diesen zwölf schweren Tagen im Amt eine Hilfe sein. Und wir wollen nicht das Kriterium „moralisch“ einführen. Denn dann sind wir schnell bei der Willkür. Das haben Sie, Herr Braun, uns erst kürzlich gesagt. Aber haben Sie das wirklich nötig? Hat Berlin das nötig? Zumal Sie, Herr Braun, noch Ihr Abgeordnetenmandat behalten?
Ich bin fast sicher: Ihnen ist allen der Unterschied sicher nicht bewusst gewesen. Sie haben ja Wichtigeres zu tun, als den ganzen Tag mit dem Berliner Senatorengesetz unter dem Arm herumzulaufen. Sonst hätten Sie das nicht mitgemacht. Und sich klar für einen Rücktritt entschieden. Denn Herr Braun hat ja genau diesen Schritt vom Amt weg gemacht, um Schaden für Justiz, Verbraucherschutz und den Senat abzuwenden. Da werden Sie darauf geachtet haben, dass durch die zwölf Tage im Amt kein Schaden entsteht, der die Stadtkasse derart belastet.
Also machen Sie mir und den Berlinern klar, dass das mit dem Übergangsgeld nicht wahr ist. Andernfalls bekäme für mich der Slogan der CDU eine gänzlich neue Bedeutung für alle Menschen in kurzfristigen und prekären Beschäftigungsverhältnissen: Berlin kann mehr...
Beste Grüße!
Arnulf Rating
Dieser Text ist in der Printausgabe leicht gekürzt erschienen.
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