■ Gastkommentar: Helmut Frenz: Krieg gegen Flüchtlinge
Alle Warnungen haben nichts genützt, um den verhängnisvollen Asylkompromiß von SPD und Bundesregierung zu verhindern. Und dieser „Kompromiß“ bedeutet nicht nur die Grundgesetzänderung des Artikel 16: Das Ausländerrecht wurde verschärft, das Asylverfahrensgesetz verkürzte den Rechtsweg ganz erheblich, und das Asylbewerberleistungsgesetz unterwirft die Flüchtlinge Einschränkungen, die ich für entwürdigend und rassistisch halte. Dieses Bündel von Maßnahmen kommt einer Kriegserklärung gegenüber Flüchtlingen gleich.
Möglich ist die Kriegsführung gegen die Flüchtlinge, weil die Mehrheit des Deutschen Bundestages hierfür die Gesetzesgrundlagen geschaffen hatte: 1. sichere Drittstaatenregelung, 2. Erstellung einer Liste von „sicheren Herkunftsländern“, 3. Flughafenregelung. Seitdem gilt: Wer sich ohne vorherige Erlaubnis in friedlicher Absicht unseren Grenzen nähert, um in Deutschland Schutz zu suchen, wird wie ein Feind behandelt: Er wird gefangengenommen, erkennungsdienstlich behandelt und so schnell wie möglich wieder abgeschoben.
Die Legalität dieses Krieges gegen schutzbedürftige Flüchtlinge bestreitend, wurde Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Der Urteilsspruch ließ lange auf sich warten und wurde nicht gut. Das neue Asylrecht in Deutschland, seit dem 1. Juli 1993 legalisiert, gilt seit dem 14. Mai 1996 auch noch als legitimiert. Das ausgehöhlte und entkernte ehemalige Grundrecht auf Asyl ist nun auch von innen ausbetoniert.
Angesichts der ersten Kommentare zum BVG-Urteil irritiert es mich ganz erheblich, in welch engem Zeitrahmen gedacht wird. Der Zeithorizont geht selten über das Jahr 1989 hinaus. Deshalb muß hier einiges in Erinnerung gerufen werden.
An dem weltweiten Krieg gegen schutzbedürftige Menschen beteiligt sich Deutschland seit Jahrhunderten. Er war uns nur gleichgültig, weil er weit weg von uns – in den sogenannten Kolonien und dann in der dritten Welt – ausgetragen wurde. Ausplünderung und Ausbeutung mit den Mitteln des Sklavenhandels und der Unterdrückung ganzer Kontinente, dann mit Waffenexporten und Niedrigstpreisen für Rohstoffe. Ein permanenter Krieg gegen die Armen.
Wie jeder Krieg erzeugt auch der gegen die Armen einen Flüchtlingsstrom, den wir selbst verursacht haben. Jetzt heißt es: Es sind zu viele! Wir können sie nicht alle aufnehmen! Offensichtlich sind es bereits dann zuviele, wenn wir etwas zurückgeben sollen von dem, was wir ihnen weggenommen haben.
Der legale und nun auch noch legitimierte Krieg gegen Flüchtlinge ist die natürliche Fortsetzung des Krieges gegen die Armen. Ich bezweifle, daß wir es schaffen, die Fronten umzukehren und endlich einen gemeinsamen Krieg gegen die Armut und damit zugleich gegen die Fluchtursachen zu führen. Dennoch bin ich bereit, mich an dem Krieg gegen Armut und Elend freiwillig zu beteiligen.
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