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Gastkolumne„Bremer Schulsystem steht zur Debatte“

■ Plädoyer für eine offene Diskussion vor dem kommenden SPD-Landesparteitag

Am kommenden Samstag findet in Bremerhaven ein Landesparteitag der SPD statt, in dem es um die aktuelle Bildungspolitik geht: Bremens bundesweit einzigartiges Schulsystem steht auf der Kippe, findet der Autor unserer Gastkolumne. Er ist Lehrer und SPD-Parteitags-Delegierter.

Der Wunsch, die Hochschulreife auch in Deutschland schon nach zwölf Jahren zu erreichen, stellt die Bremer Schullandschaft in Frage. Unter dem Eindruck des europaweiten Vergleichs von Schulstandards ist das Problem aufgekommen. Aber wo kann das eine Schuljahr am besten eingespart werden? Anders als in anderen Bundesländern heißt die Aufgabe in Bremen nicht, aus neun mache acht Jahre Gymnasium, sondern entweder aus drei Jahren Oberstufe (Sek. II) mache zwei oder aus vier Mittelstufen-Jahren (Sek. I) mache drei.

Zur Erinnerung: Mitte der 70-er Jahre begann Bremen, gestützt auf einen Beschluss der Kultusministerkonferenz, flächendeckend das traditionelle dreigliedrige Schulsystem durch ein horizontal gegliedertes Stufen-Schulmodell zu ersetzen, das allen Schülern eines Wohnbezirkes gleichen Zugang zu Schulzentren des Primar-, Sek-I- und Sek-II-Bereiches ermöglichen sollte. Neben dem Vorteil einer wohnortnahen Schule versprachen sich Sozialdemokraten von dieser Schulreform vor allem die Überwindung von sozialen Schranken im Bildungswesen, eine gerechte Verteilung von Bildungschancen und letztlich eine größere Beteiligung von Kindern aus sozial schwächer gestellten Familien an höherer Bildung. Die Durchlässigkeit der Bildungsgänge wurde zum Ordnungsprinzip erklärt. Es entstand die Orientierungsstufe. Sek-I-Zentren wurden als (mehr oder weniger) integrierte Gesamt- bzw Stadtteilschulen gestaltet.

Bremens Pioniertat fand keine Nachahmung in anderen Bundesländern. Heute macht der Vergleich mit anderen Ländern deutlich, dass das gesamte Bremer Schulsystem zur Debatte steht. Man muss nämlich kein Experte sein, um zu ermessen, dass die Schulzeitverkürzung unter Beibehaltung aller wichtigen Unterrichtsinhalte in neun Jahren Gymnasium leichter zu erbringen ist, als durch Kürzungen an den Sek-I- und/oder Sek-II-Standorten. Schulpraktiker sagen es deutlicher: Schulzeitverkürzung ist nur in durchgängigen Systemen realistisch.

Durchgängigkeit ist aber etwas anderes als die bisher propagierte Durchlässigkeit, und beides ist nicht miteinander vereinbar. Ein Schulzentrum ohne die leistungsstärkeren Schüler, die dann im durchgängigen Gymnasium sitzen ist kein Schulzentrum mehr im Sinn sozialdemokratischer Bildungsziele. Es ist eine mehr oder weniger integrierte Restschule. So stehen Bremer Bildungspolitiker vor weitreichenden Entscheidungen. Sollte das Abitur nach zwölf Jahren exklusiv in durchgängigen Gymnasien an wenigen ausgewählten Standorten angeboten werden, während für Schüler, die das Abitur nach 13 Jahren erreichen, Schulzentren zuständig sind? Sollten die bestehenden integrierten Gesamt- oder Stadtteilschulen um eigene Oberstufen erweitert werden, um auch hier ein glaubwürdiges Pendant zu schaffen?

Bremer Bildungspolitiker müssen den Mut zu einer offenen Diskussion darüber finden, wie angesichts neuer Herausforderungen die Schullandschaft neu zu organisieren ist. Wenn das Abitur in zwölf Jahren gemacht werden kann, steigert das vor allem die Attraktivität von Gymnasien. Schulzentren und Gymnasien in jedem Stadtteil schließen sich aus. Die Bremer SPD sollte ausloten, wie viel ihr Schulbildung, die Bildung in einem umfassenden Sinne meint, in integrierten Systemen wert ist.

Andreas Grösch

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