: Gartenstadt auf brauner Scholle
■ Grolland als Versuch einer NS-Mustersiedlung / Neues Buch über einen wenig bekannten Stadtteil
Grolland: Das ist für die meisten BremerInnen, sofern sie nicht Taxen steuern, Waschmaschinen anliefern oder zu den ca. 3.000 Bewohnern des Stadtviertels gehören, ein weißer Fleck auf ihrer internen Landkarte. Diese Ignoranz rührt nicht zuletzt von der Hochstraße, als die die B75 Grolland überfliegt und die lediglich einen kurzen Eindruck durchs Seitenfenster des Autos auf eine sehr grüne Streusiedlung erlaubt. Daß es sich hier um ein städtebauliches Modellprojekt handelt, mit dem die Nationalsozialisten den Industriearbeiter an die „Scholle“ binden wollten; daß in Grolland der englische „Gartenstadtgedanke“ mit der Blut- und Boden-Ideologie der Nazis verbunden wurde; daß die Streusiedlungen auch unter Luftschutzgesichtspunkten interessant waren; daß Grolland heute beinahe ein „Museumsdorf“ ist: Solche Erkenntnisse verdanken wir dem Lehrer und Stadtteilhistoriker Ottmar Hinz, der ein Buch über „Entstehung und Alltag der Bremer Vorstadtsiedlung an der Ochtum“ vorlegt. Titel: „Grolland — ein Dorf vom Reißbrett.“
den Zeitungsausschnitt
Ein Reichsheimstättentraum wird wahr: Siedler und Reichsarbeitsdienst
Eine aktuelle Beschäftigung mit Grolland lag auf der Hand, wurde doch vor ziemlich genau 800 Jahren „gronlant“ erstmalig urkundlich erwähnt. Erzbischof Hartwig II. von Bremen bestätigte 1189 dem Kloster Heiligenrode landwirtschaftliche Besitzrechte. Zur Jubelfeier im letzten Jahr beschäftigten sich ein Aktionskreis „Grolland 800“ und ein Uniarbeitskreis mit Prof. Krämer-Badoni mit Grollands Geschichte. Auf deren Ergebnisse und zahllose Gespräche mit AltsiedlerInnen und Architekten konnte Hinz zurückgreifen.
Seit der Jahrhundertwende gibt es Vorstellungen Bremer Stadtplaner, in die feuchte Niederung an der Ochtum zu expandieren. Doch erst in den Dreißigern, zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, als in Bremen 1/3 der Bevölkerung von der „Stütze“ lebte und sich die Wohnungsnot verschärfte, wurde es konkret. Von vornherein war eine Großsiedlung für arme Arbeiterfamilien geplant, und die Planungen richteten sich ausdrücklich gegen die moderne Bauhausarchitektur. „Antimoderner Heimatschutzstil“ gefiel
das haus mit
den Männern davor
sowohl konservativen als auch braunen Stadtplanern; das in Flughafennähe beschäftigte Industrieproletariat sollte in verkleinerten Ausgaben des niedersächsischen Bauerhofs (rote Klinker, Walmdach) „der Klasse entfremdet“ und im Falle der Nahrungsmittelknappheit zu frühagrarischem Ackern befähigt werden. Darum gehörten zu jedem Häuschen (ca. 55 qm Wohnfläche) etwa 1.000 qm Land und ein Stall. Zusätzliche ideologische Beeinflussung versprach man sich davon, daß der Arbeiter mit Reichskrediten Grund- und Bodenbesitzer werden konnte. Und: „Auf eigenem Grund und Boden wird der Wille zum Kind gestärkt“ (Reichsarbeitsminister Seldte).
Bei aller scheinbaren Kongruenz von herrschender Weltanschauung und steinerner Realität vergißt Ottmar Hinz nicht, auf genaue Unterscheidung von „Sprache der Propaganda“ und „Sprache der Steine“ zu drängen: „Die Siedlung wurde 1935 bis 1940 gebaut, aber ihre bauliche Gestalt und Wohnqualität ist keineswegs ein Abklatsch des NS-Systems. Eine derartige Zuschreibung täte dem Nationalsozialismus zuviel Ehre an.“ (Der NS funktionierte perfekter bei der Zulassung als Siedler: Juden waren ausgeschlossen, „nationale und politische Zuverlässigkeit“ und „rassischer Wert“ waren Voraussetzung, gegebenenfalls wurde ein erbbiologisches Gutachten verlangt.)
Grolland, ein kleinagrarisches Idyll? Mit Nachbarschaften, kurvenreichen Straßen, viel Grün, kleinen Plätzen, von heute gesuchter Wohnqualität? Hinz sieht die „baukünstlerisch einmalige Kontur der Gartenstadt Grolland“ durch das Lieferinventar des Baustoffhandels bedroht, fürchtet den Umbau des letzten „unverwechselbaren Siedlerhauses zur Allerwelts-Villa“.
die schone toilette
gezeichnet
Torftoilette ohne Kanalanschluß
Die Eigentümer ihrerseits haben Sorge, in einem von der Bauaufsicht kontrollierten Museumsdorf zu leben. Für die BremerInnen Grund genug, sich schnell noch mal den Versuch einer NS- Mustersiedlung und das, was lebendige Menschen daraus gemacht haben, anzusehen. Burkhard Straßmann
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