piwik no script img

Archiv-Artikel

Ganz entspannt im Wir und Jetzt

In der Volksbühne wurde mit Filmen und Band-Reunions ein neues Buch zur Undergroundkultur der DDR gefeiert

Am Freitagabend in der Volksbühne ging es um den „Magnetbanduntergrund“ der DDR zwischen 1979 und 1990. Das Erscheinen eines schönen, wie die ausufernde Veranstaltung „Spannung, Leistung, Widerstand“ betitelten Buchs wurde gefeiert. Es handelt von der unabhängigen Tape-Kultur im letzten Jahrzehnt der ehemaligen DDR. Der im Verbrecher-Verlag erschienene Band erzählt viel: von der DDR-Punkbewegung, die bis 1984 von der Staatssicherheit weitgehend aufgelöst wurde; von „Sound-Enthusiasten“, die Kassetten aufnahmen, die so teuer (22 Mark) wie eine halbe Monatsmiete waren; von der Zusammenarbeit zwischen Punks, Untergrund-Literaten, Aktionisten, bildenden Künstlern; aber auch von den veränderten Bedingungen Mitte der 80er, als die Szeneprotagonisten einerseits teils unterwandert wurden, andererseits oft nahezu unbemerkt in Proberäumen, Gartenlauben oder vereinnahmten, leer stehenden Häusern ihr Ding machten.

Das Buch, dem zwei CDs beigelegt sind, ist klasse. In der Volksbühne traten die Helden des Tapeuntergrunds also noch einmal auf. Sehr seltsam, Leute wie Bert Papenfuss oder Claus Löser („Gehirne“), die man als Dichter und Filmprogrammdirektoren der Brotfabrik kennt, plötzlich als Musiker auf der Bühne zu sehen. Manche – wie die legendären Ornament und Verbrechen – hatten sich zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder getroffen. Andere, wie Leonard Lorek mit seiner, hmm, Minimalfolkformation Mendelsson, musizierten routiniert. Herbst in Peking rockten kaum zehn Minuten lang. Vieles war transgressiv und freejazzbeeinflusst.

Im Foyer liefen zu DJ-Sets oft aktionistische Underground-Super-8-Filme. In einem von 1984 pisst der Dichter Tohm di Roes auf ein Brötchen in einem Hundenapf und isst es dann. Zehn Jahre später veröffentlicht Carmen Thomas im Westen ihren Bestseller: „Ein besonderer Saft“, in dem sie das Urin-Trinken als supergesund propagierte.

Das Publikum war meist schwarz gekleidet oder ein bisschen ost-hippiesk. Einige Männer trugen Sandalen ohne Strümpfe und kurze Hosen. Manche Kinder machten Quatsch. Man saß im Foyer sehr bequem auf filzbezogenen Bierkästen und dachte an den verstorbenen Undergroundhelden Mathias Baader Holst. Am Rande lief Sascha Anderson vorbei, der alle und alles verraten hatte, während er gleichzeitig mit den Bands Zwitschermaschine und Fabrik ziemlich gute Musik machte. Übersetzt in Westlinksundergroundzusammenhänge wäre er sicher gelyncht worden. Hier schien er am Rande eines Wir zu stehen.

Die Zahl derer, die zum DDR-Untergrund gehörten, war vermutlich nicht viel größer als die Zahl derer, die am Freitagabend in der überfüllten Volksbühne waren. Jürgen Kuttner meinte, etwa ein Drittel der Leute wären von damals gekommen. Es fühlte sich aber nicht wie ein nostalgisches Veteranentreffen an, sondern eher authentisch, angenehm entspannt, unprätentiös, sehr gesprächig. Und wenn es auf der Bühne exzentrisch wurde, dann erdverbunden, wie der Dichter Peter Wawerzinek, der begleitet von zwei Flügeln und einer Querflöte sprechperformantierte. Ein Schlüsselmoment des Abends war, als ein Musiker der Band Ornament und Verbrechen seine Klarinette dem Publikum schenkte. Er wollte das Instrument nicht mehr haben, weil es zu lange bei der Stasi gelegen hatte.

Vergleichend dachte ich an eine 30-Jahre-68er-Veteranenveranstaltung im Tempodrom, die peinlich entglitten war, weil die schwatzhaften Beteiligten so sehr an ihren alten Feindschaften und Fraktionskämpfen klebten. Hier dagegen hatte man den Eindruck eines souveränen, oft melancholischen und neugierigen „Wir“, das einen an das erinnerte, was man im Osten toll gefunden hatte. DETLEF KUHLBRODT